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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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blickte in die Gesichter ihrer beiden
Töchter, die sie noch immer verwundert anstarrten.
    Noreen
hatte die schmalen Lippen fest zusammengepreßt. Auch die kleine Merry lächelte
nicht, aber das tat sie schon seit einer Weile nicht mehr. Doch Bria sah zu
ihrer Freude, daß die blauen Augen, die meist groß und traurig in die Welt
blickten, vor stummem Lachen blitzten.
    Sie fuhr mit den Fingern durch
die rotblonden Locken ihrer jüngsten Tochter. »Siehst du, Noreen, Merry schämt
sich nicht ihrer armen dummen Mutter, nicht wahr mein M'eudail?«
    Merry schüttelte den Kopf und
summte ein paar leise Töne, die wie das Gurren einer Taube klangen.
    Noreen
drehte sich finster auf dem Absatz um und lief, ohne sich noch einmal umzudrehen,
durch das große Tor der Baumwollspinnerei. Die leere Blechdose, in der das
Mittagessen gewesen war, schlug ihr gegen das Bein.
    Bria
unterdrückte einen Seufzer. Sie hätte Noreen am liebsten bei den Schultern
genommen und geschüttelt. Sie wollte ihre Tochter zwingen, zum endlos
tiefblauen Himmel hinaufzublicken, in die wunderbare Weite, die in ihrer
Endlosigkeit ganz der Sonne gehörte, um darin zu scheinen. Sie wollte, daß ihre
Tochter die Freude des Tages in sich einsog, als sei es erfrischend süße Limonade.
Ein Tag wie dieser und solche Augenblicke waren selten und kostbar, denn man
konnte nie wissen, wann es wieder einmal so schön sein würde.
    Bei Gott,
es geschah nicht oft, daß die Mädchen Gelegenheit hatten, die warme Sonne auf
den kleinen Gesichtern zu spüren. Die durchdringende Sirene der Spinnerei rief
sie schon vor dem Morgengrauen zur Arbeit, und sie kamen erst nach Einbruch der
Dunkelheit nach Hause zurück. Nur an einem Samstag im Monat bekamen sie einen
halben Tag frei. Endlich schneite oder regnete es an ihrem freien Nachmittag
einmal nicht, und es braute sich auch kein Sturm über ihnen zusammen.
    Jemand zog
an Brias Rock, und sie blickte nach unten. Merry schob die schweißnasse Hand in
ihre, und die Mutter lächelte zufrieden, obwohl ihr gleichzeitig Tränen in die
Augen traten.
    Sie
gingen inmitten der vielen anderen Arbeiter durch das Tor und die Thames Street
entlang. Gelächter drang aus den offenen Türen der Hafenkneipen. Die Flut ließ
noch auf sich warten, und der Geruch der Muschelbänke lag schwer in der Luft.
    Merry
begann wieder zu summen. Es klang selbstvergessen und vergnügt, so wie man eine
Melodie summt, deren Worte man vergessen hat. Bria konnte nur lächelnd nicken
und sagen: »Richtig, mein kleiner Schatz, du hast ein bißchen Freude wahrlich
verdient, Liebes.«
    Früher
hatte die Kleine ständig gelacht und unentwegt geplaudert. Deshalb hatte man
sie auch »Merry« genannt. Aber dann kam der schreckliche Tag, an dem der
Friedensrichter mit seinen Konstablern vor der armseligen Steinhütte der
McKennas erschienen war, und sich ihr Leben schlagartig und grundlegend
geändert hatte. Damals hatte Bria ihren Töchtern befohlen, den Mund fest zu
schließen, damit nichts, kein Laut mehr über ihre Lippen kam, ganz gleich, was
geschehen mochte. In der Tat hatten sich an jenem Tag schreckliche Dinge
ereignet.
    Danach
hatte die kleine Merry McKenna nie mehr ein Wort gesprochen. Statt dessen
summte sie nur noch, und ihre Schwester verstand als einzige, was sie sagen
wollte. Aber wer konnte wissen, ob Noreen immer alles richtig verstand?
Manchmal summte die Kleine lange vor sich hin, und ihre Schwester übersetzte
dann höchst seltsame Dinge, zum Beispiel: »Merry hat mit den Elfen geredet, die
in der Kohlenkiste leben. Wir sollen ihnen jeden Abend ein paar Stücke Zwieback
geben.« Zu diesen Worten nickte die kleine Merry ernsthaft, als habe sie
tatsächlich genau das mit ihrem Summen sagen wollen.
    Nun ja, wer kann etwas anderes
behaupten, dachte Bria. Die Welt war voller Wunder, Geheimnisse und höchst
seltsamer Dinge.
    Die Welt
war voller Freude.
    Vor jenem
Tag ...
    Vor jenem
Schicksalstag war ihre Noreen ein tapferes, ausgelassenes Mädchen gewesen.
Ihren prüfenden Augen entging nichts, und sie traf mit ihren aufgeweckten
Bemerkungen stets ins Schwarze.
    Noreen
McKenna wußte Bescheid, und sie ließ sich nicht von dem beeindrucken, was
andere sagen oder denken mochten. Sie hätte fröhlich mit ihrer Mama getanzt und
dann darüber gelacht.
    Vor jenem
Tag ...
    Das Baby trat ihr plötzlich
gegen die Bauchdecke, und Bria schnaufte überrascht. Sie drückte die Handfläche
auf den Leib und spürte, wie sich das neue Leben in ihr bewegte, aber

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