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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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sie
lächelte nicht.
    Vor jenem
Tag, dachte sie, war auch ich eine andere.
    Ein
stechender Schmerz schoß durch ihren Arm. Sie ließ Merrys Hand los und rieb
sich zuerst die Schulter und danach den schmerzenden Rücken. Tag für Tag zwölf
Stunden vor einer vibrierenden Spinnmaschine zu stehen, ging nicht spurlos an
einem vorüber.
    Wenn man so
wollte, hatte dieser Tag noch eine Art Segen gebracht. Als Bria nach der
Schicht ihre Karte in die Stechuhr schob, kündigte ihr Mr. Stipple, weil sie
ihren Platz an der Maschine verlassen hatte, wie er sagte.
    Bria hätte
die Stelle ohnehin bald verloren, denn ihr Leib wurde immer unförmiger, und sie
sah bereits aus, als habe sie nicht nur einen Kürbis, sondern gleich ein ganzes
Dutzend davon verschlungen. Das Problem bestand leider nur darin, daß die
Familie mit drei Dollar weniger in der Woche bald schon einen hungrigen Mund
mehr füttern mußte ...
    Aber sie
hatte ihren Lohn erhalten, und deshalb klimperten im Augenblick munter ein paar
Münzen in ihrer Tasche. Und wieder überkam Bria eine euphorische
Unbeschwertheit. Sie wollte diesen Tag in dem Glauben verbringen, am nächsten
werde es vom Himmel Münzen für sie regnen.
    Bria entdeckte an der Straßenecke ein Mädchen, das in
einem Eisenkessel Maiskolben kochte und sie an die Passanten verkaufte. Sie
rief ihre Töchter zu sich und kaufte ihnen die dampfende Köstlichkeit. »Kommt,
wir gehen damit ans Ufer«, sagte sie, »und machen ein kleines Picknick.«
    Merry schloß die schmutzigen
Finger fest um den Maiskolben und lief durch die Allee voraus hinunter zum
Strand. Noreen zögerte einen Augenblick, aber dann folgte sie ihrer kleinen
Schwester. Die Kleider aus Futtersäcken flatterten ihnen um die Waden, während
sie barfüßig geschickt dem Gänsedreck auf dem Weg auswichen.
    Eine
Hafenmöwe schoß herab und versuchte, Noreens Maiskolben zu stehlen. Bria
dachte, das Mädchen werde sich vor Angst ducken, aber Noreen lachte nur. Es war
ein lautes fröhliches Lachen, das Bria zum zweiten Mal an diesem Nachmittag die
Tränen in die Augen trieb.
    Die
Mädchen setzten sich zum Essen auf die Steine. Bria blieb neben ihnen stehen
und blickte nachdenklich auf die gebeugten Köpfe. Merrys Haare lockten sich
flammend rot und unbändig wie die ihrer Mutter und würden ihr später das Leben
schwermachen. Noreens dunklere, haselnußbraunen Haare hatten nur einen leichten
rötlichen Schimmer und nur eine Andeutung von ihren irischen Lokken.
    Beim
Anblick ihrer Kinder empfand Bria soviel Liebe, daß ihr Herz schmerzte. Sie
blinzelte und blickte hinaus auf die sonnig schimmernden Wellen und atmete
langsam und tief. In der Luft am Wasser mischten sich die verschiedensten Düfte
und Gerüche. Es roch nach Salz, blühendem Liguster, aber auch nach verwesendem
Fisch, der im Uferschlamm lag. Weit draußen in der Bucht entdeckte sie ein
einsames Segelboot, das in Richtung Poppasquash Point fuhr. Die Bugwellen
schnitten eine blaue Linie durch die silbernen Wellen. Es war ein schöner
Anblick von schwebender Leichtigkeit und Lebensfreude.
    Bria
spürte den Hustenanfall zuerst als leichtes Kitzeln in der Kehle. Sie
versuchte, ihn zu unterdrücken, indem sie so langsam wie möglich atmete und
schließlich die Luft anhielt. Aber den Husten konnte sie nie überlisten – schon
lange nicht mehr. Sie konnte auch nicht einfach aufhören zu atmen.
    Als sie
den Mund schließlich öffnete, um Luft zu holen, brach es wie eine Explosion aus
ihr heraus, und der Husten drohte, ihr die Brust zu zerreißen. Sie mußte husten
und husten, bis sie das Gefühl hatte, ein brutaler Riese schlage ihr mit der
Faust gegen die Rippen und versuche, ihr alle Knochen im Leib zu brechen.
    Sie
krümmte sich vor Schmerzen und drückte eine Hand krampfhaft auf die Brust dicht
unter dem rasend klopfenden Herzen. Mit der anderen holte sie zitternd eine
kleine braune Glasflasche aus der Tasche und trank daraus. Nicht lange danach
hörte der Husten auf. Ihre Lunge war noch immer schwer und naß. Bria röchelte,
aber der Hustenreiz würde jetzt nachlassen – für eine Weile. Die Medizin wirkte
wahre Wunder. Leider hielt die Wirkung nur ein oder zwei Stunden an.
    Merry
sprang plötzlich auf und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. Sie summte
aufgeregt und deutete mit dem vom saftigen Mais feuchten Finger in Richtung
Poppasquash Point und auf das grau gedeckte herrschaftliche Haus, das im Schein
der Sonne leuchtete. Bria kniff die Augen zusammen, denn das gleißende

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