Penelope Williamson
gehabt, als gehöre ihr die ganze Welt. Unter ihren
Blicken war sich Bria völlig hilflos vorgekommen, hatte sich andererseits aber
auch von ihr angezogen gefühlt.
Schnell beschloß sie, das, was
sie eigentlich hatte sagen wollen, etwas zu verändern.
»Die Familie, die am
Poppasquash Point wohnt, heißt Tremayne. In der Spinnerei hat man einiges über
sie erzählt.«
»Was kann
das schon sein?« fragte Donagh. Shay kraulte dem Kater sanft die Ohren, aber
seine Lippen wirkten schmal und seine Augen hart.
»Man nennt
sie die rebellischen und unberechenbaren Tremaynes«, sagte Bria. »Der erste
Tremayne kam vor mehr als zweihundert Jahren aus Cornwall hierher. Er ist von
dort geflohen. Auf seinen Kopf war eine Belohnung ausgesetzt ... wegen
Mordes. Und hier ist er dann durch Sklavenhandel und Seeräuberei reich
geworden. Damals sind sie angeblich verflucht worden.«
»Wußte ich doch, daß bei der
Geschichte ein Fluch im Spiel ist«, sagte Donagh. »Es geht immer um einen
Fluch.«
»Du kannst
ruhig lachen, aber der Fluch hat die Tremaynes in den letzten Jahren schwer
getroffen. Zuerst wurde die jüngere Tochter bei einem Schlittenunfall
verkrüppelt, und dann ist der Sohn, weil er sich schuldig fühlte, mit seiner
Yacht im Sturm aufs Meer hinausgefahren und ertrunken. Einige Leute sagen, er
hat sich auf diese Weise das Leben genommen.«
Bria
drehte den Kopf und warf einen Blick durch die Schlafzimmertür, um sich zu
vergewissern, daß Merry immer noch schlief. Die Kleine war so gewitzt. Sie
hörte das Gras wachsen.
»Kurz nach dieser Tragödie«,
fuhr Bria fort und senkte die Stimme zu einem Flüstern, »ist der Vater auf und
davon. Er ist mit seiner Yacht davongesegelt und seitdem spurlos verschwunden.
Aber er ist nicht m Meer ertrunken wie der
junge Mr. Tremayne. Man sagt, er lebt mit seinen ganzen Geliebten auf der
Tremayneschen Plantage auf Kuba.«
Jetzt hob Shay den Kopf, und
Donagh grinste. »Er hat mehr als nur eine Geliebte, sagst du? Bei Gott, wie
schön ist es doch, ein reicher Mann zu sein.«
»Wenn man
bedenkt«, sagte Shay und seufzte spöttisch, während er ihm Whisky eingoß, »daß
es dir, dem armen keuschen Mann, nicht bestimmt ist, es selbst auch nur einmal
zu erleben.«
Er sah Bria
an, und das Lachen ließ seine Augen blitzen. »Ihr Frauen müßt heute beim Spinnen
ganz schön was zu tratschen gehabt haben.«
»Tratschen,
nennst du das? Und was macht ihr Männer den ganzen Abend? Natürlich führt ihr
tiefschürfende philosophische Gespräche.«
Bria ging
mit der Schüssel zum Schrank, nahm die Zuckerdose heraus und begann, die
geschälten Äpfel zu zuckern. Plötzlich fiel ihr das seltsame Schweigen der
beiden Männer am Tisch auf. Als sie sich umdrehte, sah sie schuldbewußte Mienen
– das heißt, ihr Bruder schien ein schlechtes Gewissen zu haben. Und wenn Shay
wie jetzt kein Wort mehr über die Lippen brachte, wußte Bria, daß sie Grund
hatte, sich Sorgen zu machen.
»Was habt
ihr beiden denn auf dem Gewissen?« fragte sie mißtrauisch.
Shays Antwort klang harmlos und
spöttisch, aber sein Lächeln wirkte etwas künstlich.
»Natürlich haben wir ein
schlechtes Gewissen, und wenn ich dir sage, warum, dann wirst du mir die Ohren
langziehen.«
Der Kater begann in diesem
Augenblick laut und hingebungsvoll zu schnurren und bearbeitete mit seinen
großen, weichen Pfoten Shays Oberschenkel. Shay hob die Hand und streichelte
den Kopf des Katers. Bria entdeckte dabei Blutspuren und bläuliche Prellungen
an den Knöcheln.
Sie stellte die Schüssel mit
den Äpfeln langsam in das Spülbecken und ging zu ihm. Shay gehörte nicht zu den
Männern, die sich ohne weiteres in eine Schlägerei verwickeln ließen. Aber sie
wußte nur von einer Sache, die die Fäuste ihres Mannes verletzen konnte: ein
dreißig Pfund schwerer Sandsack!
Sie griff
nach seiner Hand, und er zog sie nicht zurück. Bria erwartete, Zorn oder
Enttäuschung zu empfinden, aber nur das wohlbekannte flaue Gefühl im Magen
stellte sich ein.
Sie drückte
die Lippen auf die blutverkrusteten Prellungen, dann schob sie seine Hand so
heftig zurück, daß sie den Kater traf, der empört auf den Boden sprang.
»Du hast geschworen, nie wieder
zu boxen«, murmelte sie. »Du hast es auf dem Grab deiner Mutter geschworen.«
Er blickte
ihr in die Augen, aber er erwiderte nichts. Sie kannte ihn schon ihr ganzes
Leben lang und wußte um die Härte tief in seinem Innern. Dort konnte sie ihn
nicht erreichen, und dort traf er allein seine
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