Pennäler contra Pauker

auch einen stattlichen, normal entwickelten Professor der Pariser Sorbonne glatt hinzulegen.
    Wenn der Pauker die Formen abfragt, bricht für die Pennälergemeinschaft eine heiße Stunde an. Da versagen alle Kampfmethoden, und es bleibt der Instinkt, jener erwähnte sechste Sinn oder «Riecher». Das gemarterte Objekt steht für gewöhnlich auf dem Podium und wirft verzweifelte Blicke in die Klasse, es sendet «SOS». Die Klasse befindet sich in fieberhafter Tätigkeit. Die Aufgaben sind umsichtig aufgeteilt, etwa so wie bei der Bedienung eines Schiffsgeschützes. Die vorderen Reihen, die das Podium auf Schußweite vor sich haben, übernehmen flink die Botschaft, die von den rückwärtigen Matadoren ausgesandt wurde, und spielen sie gewandt dem «inquirierten» Schüler zu. Hinten arbeiten gleichzeitig mehrere Fachleute, von denen einer Spezialist für das Futurum oder die Zukunft ist, ein anderer für den Infinitiv oder die Nennform, ein dritter beherrscht die Endungen der einzelnen Fälle und dekliniert wie der Blitz, ein vierter ist wieder in den Steigerungen der Eigenschaftswörter zu Hause. Der Prüfling errät in der Regel etwa ein Drittel der Formen, ein weiteres Drittel fängt er mit dem geübten Gehör auf, das bei vielen Schülern ebenso vollkommen entwickelt ist wie bei den berühmten Fährtengängern der Indianer, und bei dem letzten Drittel, «geht er senkrecht ein», «rasselt, saust oder segelt rein». So gelingt es durch einwandfreies Zusammenspiel, den arglistigen Grammatiker zu besiegen. Ermüdet und angewidert jagt dieser schließlich den Schüler in die Bank und schreibt ihm das ersehnte     Die Klasse ist hierbei von dem Geist edler Kameradschaft beherrscht. Schwimmt zum Beispiel bei der Tafel der unbeliebte Streber, der sich sonst weigert, anderen vorzublasen, wird ihm die gleiche aufopferungsvolle Hilfe zuteil wie irgendeinem anderen ordentlichen Klassenmitglied.
    Ist die Klasse durch das Hagelwetter der Formen genügend mürbe geworden, bemüht sich der wütende Grammatiker, ihr durch seine Übersetzung den Garaus zu machen. In den niederen Klassen sind es kurze Sätze, auf der fortgeschritteneren Stufe der Entwicklung Lesestücke und zusammenhängende Proben aus den Autoren. Die Sätze in den Grammatiken der toten Sprachen sind scharfsinnig kombiniert, damit der betreffende Teil der Grammatik eingehend geübt werde. Es entstehen so wunderschöne Sätze wie: «Die Frau sitzt und schreibt.» — «Der Vater hat zwei Beine, die Mutter und die Tochter vier.» - «Das Veilchen des Mädchens wird gepflückt.» - «Der Soldat hat eine Eule auf den Knien.» - «Der Heerführer eilt mit dem Dienstmädchen in den Garten.»
    In den modernen Sprachen übt sich der Schüler durch das Lesen sorgfältig ausgewählter Lesestücke, deren Inhalt oft erstaunlich ist und einen unvergeßlichen Eindruck in dem Schüler hinterläßt. Zur Beruhigung unserer Leser haben wir ein besonders gelungenes Lesestück ausgewählt, das wir hier in wörtlicher Übertragung wiedergeben:

    Hansens erstes Handwerk

    Chlodwig, ein armer Mann, der Holzschuhe herstellte und in großem Elend lebte, schickte seinen Sohn in die Welt, damit er dort sein Glück suche. Als Hans seinen Vater geküßt hatte, machte er sich auf den Weg. Er begegnete Soldaten, die in den Krieg zogen. Der Tambour lud ihn ein, mit ihnen zu ziehen. Hans widmete sich also dem Kriegshandwerk. Eines Tages wurde das Heer durch eine Festung aufgehalten. Man schickte sich zum letzten Angriff an. «Wer wagt es, sich der Festung zu nähern?» fragte der General. Hans ergriff eine Leiter, trat zum Sturm an, die Kameraden folgten ihm, und die Stadt wurde erobert. Hans verließ das Heer. Der General dankte ihm: «Nimm diese Strickleiter zum Geschenk, trage sie stets bei dir. Einst gab sie mir ein Zauberer, damit ich sie dem Tapfersten überreiche. Wann immer du sie gegen eine Mauer wirfst, kannst du mit ihrer Hilfe emporklettern.» Hans war erstaunt, vergaß nicht zu danken, nahm die Leiter und trat bei einem Schneider in die Lehre. -
    Man staune nicht zu sehr über den Inhalt. Lesestücke solcher Art sind ein uraltes Vorrecht der Schullesebücher, finden sich bereits in der grauen Vorzeit des Schulwesens und werden in den neuen Auflagen pietätvoll weitergeschleppt.
    Wir sprachen bereits davon, wie gewandt die Pennäler den Schmöker oder die Schwarte benutzen; es ist klar, daß ein Angriff des Paukers glatt abgewehrt wird. Er wittert meist etwas, besonders wenn