Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
möge wieder von den spielerischen Eigengewächsen ausgehen.
Guardiola blieb ein schlaksiger Teenager mit wenig Muskelmasse, er bot das genaue Gegenbild der idealen Fußballerfigur. Aber große Kunst entsteht immer aus der Frustration, und da ihm Geschwindigkeit und Kraft fehlten, die man brauchte, um den Gegner zu überwinden, ersetzte er die körperliche Kraft durch geistige Stärke: Instinktiv entwickelte er ein einzigartiges Raumgefühl. Mit einem einzigen Pass konnte er drei Gegner abschütteln und das Spiel nach Belieben öffnen oder enger machen, sodass der Ball jederzeit weitere Distanzen überwand als der Spieler. Kinder wollen meist lernen, wie man dribbelt, wenn sie mit dem Fußballspielen anfangen. Bei Guardiola war das anders: Er lernte, wie man den Ball zuspielt.
La Masía, ein Begriff, der zugleich auch als allgemeiner Ausdruck für das Jugend- und Nachwuchssystem in Barcelona dient, war und ist immer noch reich an Talenten. Dieser Ort ist das Produkt der seit mehr als drei Jahrzehnten andauernden Werbung für eine Art, Fußball zu spielen, die inzwischen in aller Welt gefeiert wird. »Manche Leute vergleichen das mit dem Coca-Cola-Rezept«, sagt der katalanische Journalist Ramón Besa, »mit einer Art geheimer Erfolgsformel.« In Wirklichkeit gibt es kein Geheimnis dieser Art, nur eine einfache und zugleich revolutionäre Idee: Ballbesitz sichern, kombinieren, verteidigen, indem man angreift, und ständig einen Weg zum gegnerischen Tor suchen; das wichtigste Element für die Auswahl der Spieler ist, das beste Talent ohne körperliche Einschränkungen zu finden. Hinzu kommt noch, dass den technischen Fertigkeiten großer Wert beigemessen und außerdem sichergestellt wird, dass die Jugendspieler ein Spielverständnis entwickeln. Diese Philosophie beruht auf Technik und Talent, nicht mehr und nicht weniger. »Ich habe niemals vergessen, was sie mir als Erstes gesagt haben, als ich als kleiner Junge zu Barcelona kam«, sagt der Bar Ç a-Mittelfeldspieler Xavi Hernández. »Hier darf man den Ball nie verlieren.«
Das Modell Barcelona ist die Konsequenz eines Klubklimas, das immer den guten Fußball bevorzugte (in den 1950er-Jahren verpflichteten die Katalanen die ungarischen Spieler Ladislao Kubala, Sándor Kocsis und Zoltán Czibor, Schlüsselspieler der damals besten Nationalmannschaft der Welt), und der revolutionären Ideen, die zwei Männer in den Klub mitbrachten: Laureano Ruíz und Johan Cruyff. Laureano war ein sturer Trainer, der in den 1970er-Jahren in Barcelona eine Art zu trainieren einführte, die den Schwerpunkt auf Talent und Technik legte. Bereits in seiner zweiten Saison im Klub hatte er alle Jugendmannschaften davon überzeugt, ebenfalls diesem Konzept zu folgen. Unter Cruyff wurde der Ballbesitz zur ersten und wichtigsten Regel überhaupt. »Hat man den Ball, hat ihn der Gegner nicht und kann auch nicht angreifen«, wiederholte Cruyff Tag für Tag. Also bestand die Aufgabe darin, Spieler zu finden, die den Ballbesitz sicherten, und im Training außerdem intensiv am Stellungsspiel zu arbeiten.
La Masía fördert außerdem, wie das alle guten Jugendakademien tun sollten, die spielerische und allgemein-menschliche Entwicklung der dort untergebrachten Talente und vermittelt ihnen ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und der Identität. Xavi erklärt das so: »Was ist das Wichtigste an Barcelona? Dass die Mehrheit von uns aus ›diesem Haus‹ kommt – von hier, das hier ist unser Team, und zwar nicht nur die Spieler, auch die Trainer, die Ärzte, die Physiotherapeuten, die Helfer. Wir sind alle Culés [Spitzname für die Anhänger des FC Barcelona, G. B. ], wir sind alle Bar Ç a-Fans, wir sind eine Familie, wir gehören zusammen, wir alle geben uns große Mühe, damit alles funktioniert.«
Das alte Bauernhaus dient zwar seit 2011 nicht mehr als Wohnort, aber die Revolution, die dort vor drei Jahrzehnten begann, setzte sich fort und erreichte ihren Höhepunkt mit der Ernennung Guardiolas zum Trainer der ersten Mannschaft, denn er setzt auf La Masías hochwertigste »Produkte«. Die Nachwuchsakademie ist, so formulierte es der katalanische Sportjournalist und ehemalige Olympiateilnehmer Martí Perarnau, »ein Faktor, der den Unterschied ausmacht, eine Institution, ein Markenzeichen und eine strukturelle Investition« – eine Investition, die auch noch eine Dividende abwirft. Diese Einrichtung wurde 2010 zur ersten Jugendakademie weltweit, in der alle drei Finalisten für die
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