Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)

Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)

Titel: Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillem Balagué
Vom Netzwerk:
entferntes Heimatdorf zurückkehrte. Heute sagt er, diese Zeit habe ihm die Augen geöffnet. Sie war voller Neuerungen und Entdeckungen, und einiges, was ihm fehlte, ließ ihn reifer werden: Er wuchs heran und entwickelte sich schnell. Die Entfernung, die ihn und seine Mannschaftskameraden von Familie und Freunden trennte, sollte sie widerstandsfähig machen.
    Sein Vater hat andere Erinnerungen: »Der Junge weinte am Telefon. Das machte uns immer wieder schwer zu schaffen.«
    Die Erinnerung spielt uns gern Streiche. Peps Leben als Trainer, angespannt und anstrengend, wie es nun einmal war, hatte eine seltsame Wirkung: Die Geschichte seiner Jugend scheint neu geschrieben worden zu sein, und Pep blickt auf diese Zeit heute mit einer Mischung aus Melancholie und Neid auf die verlorene Unschuld zurück. Die schmerzlichsten Teile hat er inzwischen ganz offensichtlich vergessen, die guten Erinnerungen verwischen die schlechten, aber noch vor einem Jahrzehnt schrieb er, dass er sich im »Großen Haus«, wie das Bar Ç a-Hauptquartier von den Kindern genannt wurde, manchmal »hilflos« fühlte. Der Klub hatte ihm und den anderen Jugendspielern alles gegeben, was sie brauchten, »aber vor allem die Zuneigung und die innere Ruhe, die mir die Gewissheit gab, dass sie immer dann, wenn ich sie brauchte, zur Stelle sein und dafür sorgen würden, dass meine Probleme meinen Träumen nicht in die Quere kommen. Und diese Tatsache – dass sie für uns da sind – ist für mich so wichtig, dass ich ihnen immer dankbar sein werde und mich niemals im gleichen Umfang erkenntlich zeigen kann.«
    Der Tag in La Masía begann mit einem Frühstück, das aus Joghurt, Frühstücksflocken, Toast, Marmelade und Milch bestand. Die Jungen im Internat teilten sich, im Unterschied zu anderen Kinder ihrer Generation, ein Fernsehgerät mit Abschaltautomatik, die dafür sorgte, dass die Mattscheibe abends spätestens um 23 Uhr dunkel wurde. Vom täglichen Training einmal abgesehen, gab es allerdings auch Zerstreuungen, die weitaus informativer waren als alles, was ihr Fernseher vor dem Zapfenstreich zeigte. Pep und seine Zimmergenossen versammelten sich nach Einbruch der Dunkelheit trotz der verordneten Bettruhe am Fenster, um sich von einem der bei ihrem Wohnheim praktizierten Rituale unterhalten zu lassen: Sie beobachteten heimlich das nächtliche Kommen und Gehen der Prostituierten, die auf beiden Seiten der Straße, die zum Tor von La Masía führte, ihrem Gewerbe nachgingen. Ihre Gegenwart wurde im Lauf der Zeit »zu einem Teil des Alltagslebens«.
    Die Tränen, die manche der Jungen zur Schlafenszeit vergossen, gehörten ebenfalls zur abendlichen Geräuschkulisse, aber Pep begriff schnell, dass ihn das Weinen keineswegs seelisch entlastete. Schließlich lebten sie hier ihren Traum. Es war viel besser, sich auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren, und dazu gehörte in seinem Fall ein Aufbauprogramm zur Verbesserung der körperlichen Fähigkeiten, denn seine Betreuer erkannten zwar sein Potenzial, waren aber besorgt wegen seines zierlichen Körperbaus.
    Auf den langen Busfahrten, mit denen sie zu Spielen in ganz Katalonien – der Heimat, die er in jenen Jugendjahren so gut kennenlernen sollte – gebracht wurden, führte er endlose Gespräche über Fußball. Unablässig lernte er aus allem, was er in seinem direkten Umfeld beobachtete, von anderen Mannschaften, von Trainern, von älteren Mannschaftskameraden. Einmal bat er ein paar seiner Mitspieler um das Nachstellen einer Freistoßvariante, die er am vorhergehenden Wochenende bei einem Spiel der zweiten Mannschaft beobachtet hatte. Der Versuch führte zu einem Tor, und ihr Trainer fragte: »Wessen Idee war das? Und wo habt ihr das her?« »Von den erwachsenen Spielern«, antwortete ein 15 Jahre alter Pep Guardiola. La Masía war so etwas wie ein Fußball-Universitätscampus, auf dem Spieler und Trainer zusammenkamen.
    »Die Jungs wollen nur Fußball spielen, mit dem Fußball leben, und La Masía gibt einem die Möglichkeit dazu«, erinnert sich Pep. »Zu jeder beliebigen Tageszeit konnte man sich den Ball schnappen und ein Spiel aufziehen oder den anderen beim Training zusehen. Wenn ich gebeten werde, in La Masía einen Vortrag zu halten, benutze ich gelegentlich das folgende Beispiel: Fragt euch jeden Abend, wenn ihr ins Bett geht, ob ihr den Fußball mögt oder nicht; fragt euch selbst, ob ihr genau zu diesem Zeitpunkt aufstehen, euch den Ball schnappen und ein bisschen spielen würdet.«

Weitere Kostenlose Bücher