Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
bereits innovative taktische Konzepte entwickelt. Aber in den folgenden Spielzeiten würde er auf noch revolutionärere Art verteidigen und angreifen, und seine Mannschaft sollte fast jeden Wettbewerb gewinnen, an dem sie teilnahm.
Das Problem bestand darin, dass er mit jedem Sieg auf diesem Weg sich nicht vom Ende entfernte, sondern diesem näher kam.
Ein Land, dem es an aktuellen Vorbildern fehlte, das mit einer Rezession kämpfte, erhob Pep zur gesellschaftlichen Leitfigur, zum perfekten Mann, zu einem Ideal. Das wurde selbst Pep unheimlich. Wie Sie wissen, Sir Alex, ist kein Mensch ohne Fehler. Und Sie mögen vielleicht widersprechen, aber es gibt nur ganz wenige Menschen, die eine solche Last auf ihre Schultern nehmen können.
Das Traineramt in Barcelona erfordert eine Menge Energie, und nach vier Jahren, nach denen er die europäischen Fußballabende nicht mehr genoss und nach denen Real Madrid die spanische Liga zu einer ermüdenden Herausforderung auf dem Platz und jenseits davon gemacht hatte, spürte Pep, dass es an der Zeit war, sich von der alles verschlingenden Organisation zu verabschieden, der er gedient hatte, seit er 13 Jahre alt war – mit einer Unterbrechung von nur sechs Jahren. Und wenn er zurückkehrt – denn er wird zurückkehren –, ist es dann nicht am besten, es zu tun, wenn man einst auf den Höhen des Erfolgs weggegangen ist?
Sehen Sie sich die Bilder von Pep noch einmal an, Sir Alex. Wird jetzt nicht deutlicher, dass er für den FC Barcelona alles gegeben hat?
Teil I
Warum ist er gegangen?
1 Die Gründe
Im November 2011, unmittelbar vor dem letzten Training vor der Reise nach Mailand zu einem Gruppenspiel der Champions League, bat Pep, der jetzt im vierten Jahr Cheftrainer der ersten Mannschaft war, die Spieler, einen Kreis zu bilden. Er wollte das Geheimnis lüften, das er, Tito Vilanova und die Ärzte vor der Mannschaft gehütet hatten, doch er konnte das, was er sagen wollte, nicht in Worte fassen. In diesem großen Augenblick verschlug es ihm die Sprache. Er war angespannt und fühlte sich in seiner Haut nicht wohl. Die Ärzte übernahmen die Initiative und erklärten den Spielern, wie ernst die Lage war, während Pep zu Boden sah und aus der Wasserflasche trank, die er immer zur Hand hatte, um zu verhindern, dass seine Stimme bebte. Doch bei dieser Gelegenheit funktionierte das nicht.
Die Mediziner erläuterten, dass Vilanova, Peps rechte Hand und enger Freund, sich einer Notoperation unterziehen musste, bei der ein Tumor aus der Ohrspeicheldrüse entfernt werden sollte, der größten Speicheldrüse des menschlichen Körpers, und er deshalb nicht mit nach Italien reisen konnte.
Die Bar Ç a-Spieler standen unter Schock, als sie zwei Stunden später die Stadt verließen. Pep wirkte abwesend, isoliert, setzte sich von der Gruppe ab, tief in Gedanken versunken. Die Mannschaft besiegte den AC Mailand im San-Siro-Stadion mit 3:2 und stand nach diesem Sieg an der Spitze der Vorrundengruppe. Es war ein begeisterndes Spiel, in dem beide Mannschaften sich nicht aufs Verteidigen beschränkten und den Fans einen offenen Schlagabtausch mit zahlreichen Torchancen boten. Aber Pep verharrte trotz des Ergebnisses in einer nachvollziehbaren Melancholie.
Das Leben – so lautet die Spruchweisheit – ist das, was einem widerfährt, während man mit anderen Plänen beschäftigt ist. Es schlägt dich auch ins Gesicht und bringt dich zu Fall, wenn du dich für unbesiegbar hältst und gar nicht ans Fallen denkst – auch das gehört zu den Regeln. Guardiola, der sich ganz intensiv über jedes Detail informierte, als er von der Krankheit seines Freundes erfuhr, erlebte eine ähnliche Phase der Nachdenklichkeit, als man ihm in der vorhergehenden Saison sagte, dass Éric Abidal einen Lebertumor hatte. Der französische Linksverteidiger erholte sich gut genug, um im Halbfinalrückspiel gegen Real Madrid in der Champions League zu einem Kurzeinsatz zu kommen, am »emotionalsten Abend« im Camp Nou, an den er sich erinnern konnte, so würde Guardiola es beschreiben. Abidal wurde in der 90. Minute beim Spielstand von 1:1 eingewechselt, als Barcelona nach dem Sieg im Hinspiel unmittelbar vor einem weiteren Einzug in ein Champions-League-Finale stand. Das Publikum schenkte ihm eindrucksvolle stehende Ovationen, eine Seltenheit an diesem Ort, denn die Katalanen sind den Engländern sehr ähnlich: Sie sind mit Gefühlsäußerungen sehr zurückhaltend, bis sie eine kollektive Welle öffentlicher
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