Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
ist oder frei steht, aber wenn sich die erste Möglichkeit ergibt, einen langen Ball zu spielen, dann spiel den langen Ball. So vermeidest du Konter.«
Wenn Barcelona ein Kontertor kassiert, kommt immer dieselbe Kritik am Team auf – die Verteidigung war entblößt. Aber dieses Risiko wird willentlich eingegangen und durch Ballbesitz verringert. Die Verteidiger erhielten auf jeden Fall Unterstützung durch einen defensiven Mittelfeldspieler, der den Spielaufbau aus der Abwehr heraus unterstützte und sich außerdem zu den beiden Innenverteidigern gesellen konnte, wenn die Außenverteidiger aufrückten, was nahezu bei jedem Spielzug der Fall war. Zunächst übernahmen Seydou Keita und Sergio Busquets diese Rolle, bis deutlich wurde, dass Letzterer für diese Aufgabe wie geschaffen war. Nach Ansicht von Pep und auch von Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque ist er der weltbeste Spieler auf dieser Position.
Guardiola: »In der Defensive ist die richtige Einstellung das Wichtigste. Wir können über tausend verschiedene Konzepte reden, aber was eine Mannschaft eint und den Spielern beim Verteidigen hilft, ist die richtige Einstellung. Wenn du willst, kannst du für deinen Teamkollegen laufen, weil er dadurch besser würde. Es geht nicht darum, deinen Teamkollegen besser zu machen, sondern dich selbst.«
Für den Mann auf der Straße stand der FC Barcelona immer für Angriffsfußball, und eine der gängigsten falschen Vorstellungen zu Peps Bar Ç a war, dass die Spielweise dieser Mannschaft ganz aufs Toreschießen ausgerichtet sei – auf Kosten der Verteidigung. Aber Guardiolas Denkweise sollte viele überraschen. Wenn Barcelona einmal kein Tor gelang, sah er sich zum Beispiel als Erstes das Abwehrverhalten der Mannschaft an. Auch hierbei handelte er gegen die Intuition und den gängigen Ansichten zum Trotz. Éric Abidal erklärt beispielsweise, dass ihm als Verteidiger früher bei jedem Einsatz eingetrichtert worden sei, sich auf die Eroberung des Balles zu konzentrieren – bis er nach Barcelona gekommen sei. Dort habe man ihm dann gleich beigebracht, einen Schritt vorauszudenken und zu überlegen, was er mit dem Ball anfangen konnte, sobald er ihn hatte. »Heute weiß ich jedes Mal, wenn ich den Ball bekomme, was ich tun sollte, weil ich gelernt habe, das Spiel zu verstehen.«
Es gibt noch eine abschließende faszinierende taktische Erkenntnis.
Guardiola: »Zu den besten Dingen, die sie beim FC Barcelona machen, zählt das Laufen mit dem Ball, um zu provozieren oder zu reizen, nicht, um zu dribbeln.«
Das ist ein Trick, mit dem ein Gegner auf die Probe gestellt wird, mit dem man ihn von seiner Position weglockt, um Raum zu schaffen, und ihn dorthin führt, wo man ihn haben will. Wayne Rooney, der Stürmer von Manchester United, sagte mir bei einem Gespräch, dass er Xavi schon oft bei solchen Aktionen beobachtet habe. »Er wartet, bis ihm einer von uns nahe kommt, und spielt dann den Pass.«
Auch André Villas-Boas ist von dieser Taktik fasziniert. »Beim Fußball gibt es mehr Räume, als die Leute denken. Selbst wenn man gegen ein tief gestaffeltes Team spielt, hat man sofort die Hälfte des Platzes für sich. Man kann den Gegner mit dem Ball provozieren, kann ihn dazu herausfordern, sich nach vorn oder seitwärts zu bewegen und einen Raum zu öffnen. Aber viele Fußballer verstehen das Spiel nicht. Sie können nicht über ein Spiel nachdenken oder es deuten. Den Fußballspielern wird es heute zu leicht gemacht: hohe Gehälter und ein gutes Leben mit einem Arbeitstag, der höchstens fünf Stunden dauert, deshalb können sie sich weder konzentrieren noch über das Spiel nachdenken.«
»Barcelonas Spieler sind das genaue Gegenteil«, fährt der ehemalige Chelsea-Trainer fort. »Seine Spieler denken ständig über das Spiel nach, über ihre Bewegungen.
Guardiola hat darüber gesprochen: Die Innenverteidiger provozieren den Gegner, locken ihn nach vorn, und dann, wenn der Gegner schnell Druck ausübt, wandert der Ball zum anderen Innenverteidiger, der den Steilpass spielt, und zwar nicht zu den Mittelfeldspielern, die dem ballführenden Spieler den Rücken zuwenden, sondern zu denen, die sich zwischen den Linien hin- und herbewegen, zu Andrés Iniesta oder Lionel Messi oder gleich direkt zum Stürmer. Dann spielen die den zweiten Ball nach kurzen Verzögerungen entweder zu den Flügelspielern, die nach innen gezogen sind, oder zu den Mittelfeldspielern, die das Spiel jetzt vor sich haben. Sie haben eine
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