Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
»Molekular-Fußball«. Und das Erfolgsrezept heißt Innovation: In einer Ära, in der alle sich auf die Viererkette-Doktrin festgelegt haben, treten sie mit drei Abwehrspielern an. Sie stellen kleine Spieler ins zentrale Mittelfeld, während der Rest der Welt im Maschinenraum auf Kraft und Tempo setzt. Barcelona hat als Lösung präsentiert, was andere als Schwäche empfinden mögen: Mit sehr kleinen Mittelfeldspielern kann man sich den Ball nicht holen, also achtet man von vornherein auf ständigen Ballbesitz.
Die Logik mag oft der Intuition widersprechen. Man kann zum Beispiel, nach einer weit verbreiteten Denkweise, ohne einen 1,90 Meter großen durchschlagskräftigen Stürmer keine Kopfballtore erzielen. Barcelona stellte diese Theorie auf den Kopf: Die Flügelspieler schlagen also nach wie vor Flanken, aber das Stellungsspiel und das Timing des Angreifers gleichen aus, was an Kraft und Größe fehlt.
Der Abnehmer einer Flanke muss nicht einmal ein Stürmer sein, denn Barcelona spielt oft ohne echte Sturmspitze. Und dann ist da als Zugabe noch ein Torwart, der den Ball genauso oft mit dem Fuß spielt wie ein Innenverteidiger – mitunter auch öfter als ein gegnerischer Mittelfeldakteur. Man könnte Valdés auch als Innenverteidiger bezeichnen, der den Ball gelegentlich in die Hand nimmt.
Barcelonas herausragende Innovation hat vielleicht weniger mit dem ständigen Durchbrechen von Gewohnheiten zu tun, auch nicht mit der Ausbildung und Auswahl wunderbarer Spieler, die über die Technik und das Vorstellungsvermögen verfügen, um solche Dinge umzusetzen – und auch nicht mit der Erkenntnis, dass wunderschöner Fußball so genannt wird, weil er effektiv ist, nicht umgekehrt –, sondern mehr mit der Tatsache, dass sie eine Methode gefunden haben, die Räume auf dem Spielfeld zu nutzen, die fast unüberbietbar ist und gegen die es kaum ein Gegenmittel gibt. Es stimmt schon, Chelsea und Real Madrid besiegten Pep in seiner letzten Saison in Barcelona auf unterschiedliche Art. Aber während Peps Amtszeit hatte Barcelona die höchste Siegesquote der Fußballgeschichte bei entscheidenden Spielen. Und das war kein Zufall.
Iniesta sagt, Pep habe ihm ständig Erklärungen zu seinem Stellungsspiel auf dem Platz gegeben. »Er korrigierte mich ständig, half mir, mich zu verbessern, sagte mir, ich solle genießen, was ich da tue, Spaß haben und diesen Beruf und diesen Klub lieben.« Xavi Hernández betont, Pep sei »allen anderen immer zwei oder drei Züge voraus«. Javier Mascherano wird Messi immer dafür dankbar sein, dass »er mich empfohlen hat, und Pep dafür, dass er mir gezeigt hat, dass man Fußball auch auf eine andere Art spielen kann«. Es musste leicht sein, zu trainieren und zu Wettkämpfen anzutreten, wenn alle Spieler dieses Niveau bei der Analyse, diese Bescheidenheit und diese Leidenschaft für ihr Tun zeigten. Den Glauben an ihren Beruf.
Und alle von ihnen lebten mit einem Gebot, ganz gleich, wie oft sie gewonnen hatten: »Ich bin bei einem großen Klub, auch in den schwierigen Zeiten. Ich bemühe mich, die Grundsätze des Klubs nicht zu verraten, ebenso wenig wie die Idee des mannschaftlichen Zusammenspiels und das Vermächtnis meiner Vorgänger.«
Das Eröffnungsspiel der Meisterschaftssaison 2008/09 führte zum Aufsteiger CD Numancia nach Soria.
Die Taktikbesprechung im Hotel, zwei Stunden vor der Fahrt zum Stadion, bestätigte, dass es keine Überraschungen gab und alle großen Namen zur Startelf gehörten: Valdés, Alves, Puyol, Márquez, Abidal; Touré, Xavi, Iniesta; Messi, Henry und Eto’o.
Die Anweisungen waren klar und einfach: Öffnet das Spielfeld. Numancia wird sich hinten reinstellen. Zieht ein schnelles Passspiel auf. Seid geduldig.
Auf dem Weg ins winzige Stadion Los Pajaritos (es fasst nur 9025 Zuschauer) dröhnte der Coldplay-Song »Viva la Vida« aus den Lautsprechern des Busses. Dieses Lied, eines von Peps Lieblingsliedern, sollte zur Begleitmusik für den Rest der Saison werden, ja sogar zur Hymne für die Ära Guardiola. Wenn dieses Lied gespielt wurde, wussten die Spieler, dass der Augenblick gekommen war. Er war eine Aufforderung. Der Aufruf zum Handeln.
Die letzten Rituale folgten nach dem Aufwärmen, aber bis dahin war Pep aus dem Blickfeld der Spieler verschwunden. Seine Vorbereitungen waren abgeschlossen.
Beide Teams kamen auf den Platz. Die neue Erstligasaison hatte begonnen.
Guardiola gestikulierte auf der Bank, wirkte gereizt und angespannt. Er setzte sich,
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