Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
platinblonden Strähnen wirkte ohne die Unterstützung der Kämme zusammengefallen.
»Hallo, Pepe!«
Carvalho begrüßte die beiden Eintretenden mit einer Kopfbewegung. Er glaubte sich zu erinnern, daß die eine ›La Andaluza‹ genannt wurde. Sie war klein und blond wie helles Feuer. Die andere kannte er nicht; sie sah gut aus und schien noch jung zu sein.
»Das war ein Schreck, Junge! Man hörte Trillerpfeifen, und wie Gespenster tauchten sie aus dem Nichts auf. Ganz plötzlich! Nur ein paar Leute. Aber in einer halben Stunde hatten sie das ganze Viertel auf den Kopf gestellt.«
Carvalho trat auf den Balkon hinaus. Es war ein modernes Haus, eine Ausnahme in diesem Viertel, in dem seit hundert Jahren nichts mehr gebaut worden war. Nur selten erlaubte eine Lücke, die der Bürgerkrieg gerissen hatte, den Bau eines modernen Gebäudes. Das Haus überragte mit seinen acht Stockwerken, kubisch und verglast, die dunkelvioletten, vom Moos zerfressenen Ziegeldächer. Wenn Charo auf ihn gehört hätte und in eine Villa am Stadtrand gezogen wäre, säße sie jetzt nicht in der Klemme. Er ging zurück in das Zimmer, wo die drei Frauen erregt debattierten.
»Solange ihr hier seid, bleiben eure Typen draußen, klar? Auf die sind sie schärfer als auf euch, und ich will nicht, daß Charo Schwierigkeiten bekommt.«
»Keine Bange, Pepe, die sind schon verhaftet.« La Andaluza brach in Tränen aus. Carvalho nahm Charo beiseite.
»Ich muß wissen, ob eine von deinen Freundinnen einen Typ gekannt hat, der auf dem Rücken die Tätowierung trug: Ich bin geboren, das Inferno aus den Angeln zu heben. Er war jung, groß und blond, sprach wie ein Andalusier, war aber keiner, und hatte Arbeit in Holland.«
»So was wissen eher die Chefinnen von den Stundenhotels. Wenn du zu den armen Mädchen hier nett bist und nicht den wilden Mann spielst, will ich mal versuchen, ob ich was rauskriegen kann.«
»Laß sie doch hier und komm mit zu mir, bis alles vorbei ist.«
»Soll ich dort meine Kunden empfangen?«
»Hör eine Zeitlang auf damit. Du brauchst das Geld nicht.«
»Was weißt du schon? Keine zehn Pferde bringen mich aus meiner Wohnung.«
»Es kann sein, daß ich ins Ausland reisen muß, für ein paar Tage. In der Zeit kannst du dort wohnen.«
»Kommt nicht in Frage.«
Carvalho ließ sie verärgert stehen. Aber sie kam hinter ihm her. »Mich läßt du nicht einfach so stehen! Was bildest du dir eigentlich ein? Das hier ist meine Wohnung, und ich kann hier tun und lassen, was ich will. Zahlst du mir vielleicht die Miete? Wann hast du überhaupt je schon mal einen Groschen für mich ausgegeben?«
»Hör auf damit!«
Aber Charo hörte nicht auf. Sie verfolgte ihn bis zur Wohnungstür.
»Wenn ich an ihrer Stelle wäre, wäre ich auch froh, wenn man mir hilft.«
»Du bist nicht an ihrer Stelle, aber du wirst noch soweit kommen.«
»Ich bin wie sie, mit dem einzigen Unterschied, daß ich auf eigene Rechnung arbeite. Und du bist wie die, fast genauso.«
»Wie wer?«
»Wie die Polizei!«
Charo preßte die Lippen zusammen, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen. Carvalho schwankte, ob er ihr etwas erwidern oder gehen sollte. Er sah sie unverwandt an, während er überlegte, und Charo erkannte an seinem starren Blick, was er dachte. Sie trat einen Schritt zurück und sah Carvalho weiter fest in die Augen.
»Erkundige dich nach der Tätowierung!«
Carvalho wandte sich zur Treppe, als Charo halb zur Tür herauskam.
»Komm heute nacht!«
»Sollen wir auf dem Klo schlafen?«
»Soll ich mit zu dir kommen?«
»Laß nur, ich komme später vorbei.«
Carvalho ging auf dem kürzesten Weg zum Friseursalon Queta. Der Laden summte von den Gesprächen der Frauen. La Gorda hörte auf, die weißen Haare einer Kundin zu waschen, um mit überraschender Behendigkeit die Stufen zu der Emporenkammer hinaufzueilen. Carvalho wich dem Blick von Queta nicht aus, die eine Flasche mit Shampoo schüttelte. Die Frau hatte die ganze Unermeßlichkeit ihrer großen Augen auf ihn gerichtet und verfolgte genau, mit welch offensichtlicher Gleichgültigkeit und Sicherheit Carvalho durch den Salon zu der Bürokammer ging. Als Pepe dort eintrat, hatte ihn La Gorda bereits angekündigt. Señor Ramón erwartete ihn mit einem hastigen Lächeln und fragendem Blick. La Gorda verweilte einen Moment an der Seite ihres Chefs wie ein Leibwächter, der nicht sehr stark, aber entschlossen wirkte. Mit einem Wink schickte er sie hinaus. Carvalho hatte es sich schon auf dem
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