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Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche

Titel: Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vazquez Montalban
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etwas Besonderes seine Aufmerksamkeit erregte. Durch die Blätter der Bäume fielen weiße und gelbe Lichtkleckse auf die vereinzelten morgendlichen Passanten. Carvalho betrat die Arkaden der Plaza Real. Die Architektur des 18. Jahrhunderts übermittelte ihm ein Gefühl von Ruhe und Harmonie. Er trat in einen breiten Hausflur und stieg ein paar in glanzlosem Holz gefaßte Granitstufen hinauf. Ein kleiner alter Mann in einem karierten Schlafrock öffnete die schwere Tür, die ebenfalls aus Holz und mit schokoladenbraunem Firnis überzogen war. Er erkannte Carvalho und ließ ihn eintreten. Sie gingen durch einen kleinen Flur, dessen Wände mit pompejanischen Motiven tapeziert waren, und gelangten in ein Eßzimmer in englischer Manier, überladen mit Gipsfigürchen und Schiffen in Flaschen oder in der Form von Salzfäßchen. An der Wand hing eine Sammlung vergilbter Familienfotos, beleuchtet von zwei flackernden Flämmchen in ölgefüllten Schalen. Das Zimmer roch nach Wachs und gedünstetem Kohl. Der Geruch weckte Kindheitserinnerungen an die Sommer, die er in Souto verbracht hatte, vor allem an die Schnauzen der Kühe, die aus dem Stall ins Eßzimmer der Familie schauten. Don Evaristo Tourón bat ihn, Platz zu nehmen, und begann sich in Erinnerungen an die heimatliche Scholle zu ergehen. In letzter Zeit wiederholten sich seine Geschichten und lösten sich auf. Carvalho zitterte wieder einmal vor den verschlungenen Pfaden eines weitschweifigen Vortrags über die Wölfe des Monte Negro, die die ganze Gegend von San Juan de Muro heimgesucht hatten und manchmal sogar nach Pacios gekommen waren, um die Schafe von Manolo, dem Schuster, zu reißen.
    »Ich wollte mich mit Ihnen über Tätowierungen unterhalten, Don Evaristo!«
    »Ach so, ja, du willst dich tätowieren lassen. Ich selbst mache das nicht mehr. Man braucht eine sichere Hand. Eine sichere Hand und Freude daran. In dieser Kunst hat es keiner zu etwas gebracht, der keine Freude an seiner Arbeit hatte.«
    Don Evaristo erhob sich, um aus einer Schublade der Anrichte ein Album mit Fotos zu holen, die seine größten beruflichen Erfolge dokumentierten.
    »Schau her, ein Landsmann aus El Ferrol. Seemann auf einem Kabeljaufischer!«
    Seine Tätowierung, die die ganze Brust einnahm, zeigte einen grünbelaubten Baum, der aber anstelle von Früchten Frauenkörper trug. Ein anderes Foto zeigte den angespannten Bizeps eines gorillaähnlichen Menschen mit dem Kolumbus-Denkmal von Barcelona und der Inschrift: ›Merche, versteck dich, wo du willst, ich finde dich doch!‹ Ein Junge zeigte seine Hinterbacken, in die Don Evaristo eingraviert hatte: ›Hier geht’s nur raus, aber nicht rein!‹ Don Evaristo bedauerte wieder einmal ungeheuer, daß er kein Foto vom Penis jenes bekannten Ganoven hatte machen lassen, den er einmal tätowiert hatte. War die Vorhaut in normaler Position, erblickte man eine Katze, wurde sie aber zurückgezogen, erschien eine Maus auf der Eichel.
    »Ich hab’ dabei Blut und Wasser geschwitzt, Pepiño, das schwör’ ich dir. Und er auch. Das war ein Geheul! Aber er hatte Mumm, der Kerl.«
    Carvalho fragte ihn, wer aus der Zunft noch am Leben sei.
    »Ich hatte vor, hier eine Schule aufzumachen. Leider ohne Erfolg. Wer wollte sich früher tätowieren lassen? Seeleute und welche aus der Unterwelt. Matrosen gibt es keine mehr, wenigstens nicht mehr solche wie früher. Und die Gauner lassen sich nicht mehr tätowieren, weil sie dadurch leichter zu identifizieren sind. Ich hatte einen Schüler aus El Clot, der war nicht schlecht. Aber er war schwul, und in diesem Metier riskiert ein Schwuler, daß er von morgens bis abends Ohrfeigen kassiert. Da war noch ein Junge aus Murcia, der sich gut darauf verstand, er ist etwas jünger als ich. Er wohnt in der Nähe des Ciutadella-Parks. Aber in Barcelona ist praktisch nichts mehr los. In Tanger, dort gibt es noch welche. In Marokko gibt es sie noch. Und in ein paar Hafenstädten im Norden. In Hamburg nicht oder kaum. Ob du es glaubst oder nicht, in Hamburg ist auch nichts los, obwohl es so berühmt ist. In Rotterdam vor dem Krieg, das waren gute Tätowierer, sehr gute!«
    Carvalho erkundigte sich, ob er von der Tätowierung des Ertrunkenen gehört hatte.
    »Sehr hübsch! Vor dem Krieg, das waren noch Leute mit Bildung, die sich tätowieren ließen. Einmal kam ein Junge aus gutem Hause zu mir, er war bei der Legion, und ich mußte ihm etwas auf französisch eingravieren.«
    Der Alte ging wieder zu der Anrichte, kramte

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