Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
weinte. Charo wiederholte ein ums andere Mal, wie eine hängengebliebende Schallplatte, er solle mit ihr in ein anderes Zimmer gehen, sie habe ihm ein paar Dinge zu sagen; Carvalho stieß sie beiseite.
»Die Polizei macht keine Witze. Überall rollen die Köpfe, und zwei Schritte weiter spielt ihr hier Mönch und Nonne.«
Er forderte Charo auf, mit ihm aus dem Zimmer zu kommen. In der Küche ließ er ihr keine Zeit, die Litanei ihrer Vorwürfe zu beginnen, sondern schilderte ihr mit drastischen Worten die Situation auf der Straße. Allmählich wich Charos Angst vor Carvalho der Furcht vor dem, was ihr passieren könnte, wenn sie in diese Ereignisse hineingezogen würde.
»Das ist aber kein Grund, so mit dem Jungen umzugehen, Pepe!« beharrte sie.
»Ich kann Zuhälter nicht ausstehen.«
»Das ist kein schlechter Junge. Er liebt sie wirklich. Ohne ihn hätte das Mädchen ein schlimmes Ende genommen.«
»Sie müssen die Dinge kapieren, und wer nicht hören will, muß fühlen. Hast du herausgefunden, was ich wissen wollte?«
Charo hatte nur mit den Chefinnen von fünf Absteigen reden können. Eine aus der Calle Fernando erinnerte sich undeutlich an einen Typ mit einer merkwürdigen Tätowierung, wußte aber nicht, ob es genau diese gewesen war.
»In der Calle Fernando gibt es kein einziges Stundenhotel.«
»Stimmt. Ich meine das in dieser kurzen Seitenstraße. Ich kann mir den Namen nie merken.«
»Wohnt sie dort?«
»Nein. Sie wohnt mit ihrem Sohn an der Ronda. Gleich neben der San-Antonio-Markthalle. Sie sagte, vor längerer Zeit sei ein paarmal ein Mann dort aufgetaucht, auf den deine Beschreibung ziemlich gut paßt. Er kam mehrfach zu demselben Mädchen mit den Spitznamen ›La Pomadas‹ oder ›La Francesa‹. Sie spielt die Französin und verkauft ihren Kunden nebenbei Pomade, um sich was dazuzuverdienen. Die hat ihr wohl erzählt, daß er ein seltsamer Typ war und eine ganz merkwürdige Tätowierung hatte. Auf jeden Fall keiner, der hier bekannt ist; niemand erinnert sich an ihn.«
»Kann man La Pomadas irgendwo treffen?«
Charo ging hinaus und kam nach einer Minute wieder.
»Sie sagen, du sollst in der Bar kurz vor der Ecke Calle San Fernando fragen. Es ist eine der wenigen Bars, die nicht geschlossen wurden, aber die Mädchen sind alle weg.«
»Gut. Ich gehe jedenfalls und komme in ein paar Tagen wieder.«
Charo bremste Carvalhos Abgang aus der Küche und küßte ihn auf den Mund. Sie flüsterte ihm ins Ohr, er solle mit den anderen nicht mehr so grob umgehen, sie seien ganz in Ordnung. Carvalho schob sie sanft weg und ging ins Wohnzimmer. Das Gesicht des Jungen war verschwollen, und die beiden Mädchen versuchten, es mit feuchten Tüchern wieder etwas in Form zu bringen.
»Sobald es ihm besser geht, raus! Und wenn ihr beide keine Vernunft annehmt, fliegt ihr genauso raus. Ich habe euch klipp und klar gesagt, daß ich nicht will, daß Charo in die Sache hineingezogen wird.«
Carvalho sagte es in beinahe liebenswürdigem Ton, und La Andaluza fand, daß es nun an der Zeit sei, ihm eine Predigt zu halten.
»Also, Pepe. Man kann Dinge auf viele Arten sagen, und was hätte es dich gekostet, normal hereinzukommen und zu sagen, was du willst, ohne gleich zuzuschlagen? Wir sitzen ganz schön in der Patsche und müssen einander helfen und menschlich sein, Pepe, menschlich. Ein bißchen mehr Menschlichkeit!«
»Soviel du willst. Aber wenn ihr den Kerl wieder zusammengeflickt habt, raus mit ihm!«
»Wir sehen uns noch!« schrie der Junge mit mehr Mut als Lautstärke.
»Schau erst mal zu, daß du die Augen wieder aufkriegst!« erwiderte Carvalho auf dem Weg zur Tür, wo ihn Charo erwartete. Sie sprachen nicht, während der Fahrstuhl nach unten fuhr, auch nicht, als sie auf der Straße waren. Carvalho schien in Gedanken versunken. Charo hängte sich bei ihm ein, als sie die Mitte der Ramblas erreicht hatten.
»Wohin gehst du eigentlich?«
»Soll ich mit zu dir kommen? Bleibst du lange weg?«
Carvalho zuckte die Achseln. Sie erreichten den Eingang der Bar.
»Ich stelle die Fragen, und du bist still!« verkündete er.
Die Razzia hatte den Vorzug gehabt, Licht in das schummrige Dunkel der einschlägigen Bars zu bringen. Die roten und grünen Lampen waren wie weggezaubert, und neue Hundert-Watt-Birnen verbreiteten die Helligkeit von Schaufenstern. Das grelle weiße Licht ließ alle Dinge fremd erscheinen. Carvalho und Charo nahmen auf den hohen, drehbaren Hockern an der Bar Platz. Die Zunge des
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