Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Amsterdam eine der Großstädte war, die ihn von jeher am meisten fasziniert hatten, und er spürte, daß der große Blonde nicht so ganz in das Bild des braven spanischen Arbeiters paßte, der bei Philips in Den Haag vor Anker gegangen war. Die Schritte dieses Mannes mußten im prächtigen Amsterdam eine Spur hinterlassen haben, in der Nacht des Rotlichtviertels.
Das Flugzeug landete auf dem Flughafen Schiphol, in nächster Nähe von Amsterdam und Rotterdam. Carvalho kannte sich aus und brauchte nicht lange zu suchen. Er ging zielsicher zum Busbahnhof. Sein Bus füllte sich mit Arbeitern, die schwarzbraun, schnauzbärtig und lärmend aus dem Urlaub in der Heimat zurückkehrten, Türken, Griechen, Italiener, Spanier und Portugiesen, das ganze ABC des harten, armen Europa. Es wurde schon dunkel, aber während der Fahrt hatte er noch Zeit, visuellen Kontakt mit der grünen, wasserreichen Geometrie des Landes aufzunehmen. Die Türken, Flüchtlinge aus dem dürren Teil Europas, hatten ihre anfängliche Fröhlichkeit verloren und beugten sich langsam dem Gebot des Schweigens, das in diesem mit dem Lineal angelegten Teil Europas herrschte.
Das alte Hotel Schiller war für Carvalho einer der Lichtblicke in Amsterdam. Vom Fenster seines etwas heruntergekommenen Zimmers konnte er den Rembrandtplein überblicken, in dessen Mitte das Schwergewicht Rembrandt für die Geschichte posierte, und zwar mit einer gelassenen Heiterkeit, die er zu Lebzeiten nie besessen hatte. Wenn die Holländer könnten, so dachte Carvalho, würden sie Rembrandts unter Qualen entstandene Malerei in die Pastelltöne eines französischen Gemäldes des 18. Jahrhunderts verwandeln. Über den Dächern schimmerte die vergoldete Gestalt des Engels mit der Trompete, der die Uhr eines benachbarten Platzes krönte. Er verschob die Fahrt nach Den Haag auf den nächsten Tag. Es dunkelte mit nordischem Tempo, und er wollte den hereinbrechenden Abend nutzen, um wieder einmal die alten Wege zwischen den Grachten zu gehen, die zum Rotlichtviertel, zum Hauptbahnhof und zum Hafen führten. Auch wollte er nicht versäumen, in einem indonesischen Lokal seine Abendmahlzeit einzunehmen, und er wußte, daß ihm Amsterdam zwei Wahlmöglichkeiten bot: das
Indonesia
und das
Bali
. Das erste war nur zwei oder drei Blocks vom Hotel entfernt, und seine
Rijsttafel
war unanfechtbar. Nichts auf der Welt sollte ihn davon abhalten, in der erstbesten Kneipe ein paar Genever zu kippen und ihnen jeweils einen Krug Bier hinterherzuschicken. Die englischen und holländischen Lokale verwöhnen ihre Gäste mit dem optischen Kontakt von Holz und altertümlichen Tischen, mit Platz zum Sitzen und zum Reden, und sie lassen dem Bier genügend Zeit, sich den Gegebenheiten des Magens anzupassen. Carvalho sah wieder einmal bestätigt, daß es die kleinen Einzelheiten sind, die dem Ganzen seine entscheidende Bedeutung verleihen. Es war einer der Höhepunkte seiner Hollandreise, diese zwei Gläser holländischen Genever zu trinken und ihnen die beiden Krüge Bier folgen zu lassen. Dieser Wacholder ist unwiederholbar, nicht so raffiniert und verfeinert wie der englische. Man muß in den Lokalen ausdrücklich holländischen Genever bestellen, der auf der Basis von Getreide und Wacholderbeeren hergestellt wird. Die Kellner sind der Meinung, er sei für den Nichtkenner zu rauh, und bringen normalerweise englischen Gin. Aber alles zu seiner Zeit. Carvalho dachte an jenen dubiosen kalifornischen ›Amontillado‹, den er sich so oft in Ermangelung eines echten Amontillado einverleibt hatte, an den kalifornischen Burgunder oder jene kalifornischen Weißweine, die mit den galicischen soviel gemein hatten wie Sellerie mit Spargel.
Wenn ein Körper zwei Genever und zwei Krüge Bier vertragen kann, dann muß er auch die doppelte Menge davon vertragen. Carvalho prüfte dies mit unglaublicher experimenteller Opferbereitschaft nach und ging dann spazieren, fest entschlossen zu der Annahme, daß die Welt, zumindest in der holländischen Parzelle, gut sei. Über den Grachten war es dunkel geworden, die Grachten seines Blutes dagegen hatte der Alkohol erleuchtet. Er ging durch die Straßen und erlebte, wie die erste Dunkelheit Gewässer und Bäume ins Futteral der Nacht steckte. Langsame Radfahrer fuhren in schläfrigem Tempo vorbei, aber auch schnelle Autos, die sich auf den Selbsterhaltungstrieb der Passanten verließen.
Es war kühl geworden, und er beschloß, zum Hotel zurückzugehen und sich wärmer
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