Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Barkeepers klebte fest an seinem Gaumen, er widerstand allen Versuchen Pepes, ihn zum Sprechen zu bringen. Von der Razzia wußte er nichts, auch nichts über die Hintergründe. Pepe blickte mit einer gewissen Hilflosigkeit zu Charo hinüber. Das genügte. Sie schloß die Augen, stützte die Ellbogen auf den Tresen, brachte ihr Gesicht nahe an das des Barkeepers und sagte zu ihm: »Schau mal, es ist, weil ich mir um eine Freundin Sorgen mache, und ich weiß nicht, ob sie sie geschnappt haben. Sie heißt La Pomadas.« Der Barkeeper erkannte in Charo das Fleisch und die Stimme seines Stammes. Bis jetzt hatte er sie nur für ein Anhängsel Carvalhos gehalten. Professionell und fast ohne merkliche Kopfbewegung sah er sich um und vergewisserte sich, daß kein Fremder seine vertraulichen Mitteilungen hörte.
»La Pomadas wohnt gar nicht mehr hier im Viertel. Sie ist vor sechs Monaten auf die Carretera de Sarriá gegangen. Dort war auch eine Razzia, aber nicht so wie hier.«
Carvalho steckte ihm ein Trinkgeld zu, für das er sich mit einem Augenzwinkern bedankte. Als sie wieder auf der Straße standen, hängte sich Charo stolz bei Carvalho ein und zog die moralische Bilanz aus den Ereignissen des gemeinsamen Abends: »Siehst du? Mit ein bißchen Höflichkeit läuft alles besser!«
Beinahe hätte Carvalho gelacht. Charo bemerkte es, und hakte sofort ein, wo sie den Riß in dem monolithischen Carvalho ahnte. »Lach doch! Lach, wenn du Lust hast, ich nehme kein Geld dafür!«
Carvalho beachtete sie nicht mehr, sondern faßte die Situation zusammen: Eine Spur führte nach Holland zu einer konkreten Arbeit an einem konkreten Ort. Die andere zu einer Nutte, die vermutlich ihre ganzen Pomadentöpfe und all ihre Polster in ein gutes Versteck gebracht hatte, bis das Unwetter vorüber war.
»Charo, ich fahre nach Holland, und du machst dich inzwischen auf die Suche nach La Pomadas. Unauffällig, mit Geduld und ohne Risiko!«
Charo gab ihm Küßchen auf sein Schulterpolster, und Carvalho bemerkte, daß die Küsse allmählich den Panzer durchdrangen und einen Gewittersturm auf der gesamten Hautoberfläche hervorriefen.
Das Flugzeug landete zwischendurch in Nizza, und Carvalho genoß den Blick auf die Hügel der Côte d’ Azur: Kilometer um Kilometer reihte sich Villa an Villa, eingebettet in wohlgepflegte Vegetation. Carvalho zog Vergleiche zwischen der vernünftigen Bodenspekulation hier, die kleine Paradiese geschaffen hatte, und der wahnsinnigen Spekulation an Spaniens Küsten. In seinem Gehirn begann eine alte Logik aus vergangenen Zeiten zu arbeiten, eine Logik, die dazu diente, Ursachen und Wirkungen von Gut und Böse miteinander zu verknüpfen. Aber als diese Logik Ansprüche zu stellen begann, schrillte eine Alarmglocke in Carvalhos Gehirn und stoppte seine Grübeleien. Jede Minute, die er vergeudete, um die Welt, in der er lebte, zu analysieren, war ihm zuwider. Schon vor langer Zeit war er zu der Überzeugung gelangt, daß er von der Kindheit zum Alter unterwegs war, mit einem ganz persönlichen und nicht übertragbaren Schicksal und einem Leben, das kein anderer für ihn leben konnte, weder länger noch kürzer, weder besser noch schlechter. Sollten sich doch andere am Arsch packen lassen. Er selbst hatte seine Fähigkeit, abstrakte Emotionen zu empfinden, auf das eingeschränkt, was ihm die Landschaft zu bieten hatte. Mit allen sonstigen Emotionen versorgte ihn die Haut.
In Nizza stiegen zehn neue Passagiere zu, und die blauen Stewardessen der holländischen Fluggesellschaft verteilten sie auf die Sitze, die freigeblieben waren. Neben Carvalho setzte sich eine lederne Alte mit dem typischen geblümten Hütchen und der weißen Haut der feinen, gepflegten Damen. Sie war zu einem Schwätzchen aufgelegt, und Carvalho befand sich plötzlich mitten in einer absurden Diskussion über die Gründe für das alarmierende Absinken des Salzgehaltes im Mittelmeer. Das geschäftige Hin und Her der Stewardessen ließ erkennen, daß das letzte Drittel des Fluges begonnen hatte. Er ging zur Toilette, überprüfte seine Papiere und stellte fest, daß er seinen spanischen Detektivausweis dabeihatte, ebenso den acht Jahre alten, inzwischen verfallenen Ausweis, den ihm die Polizei in San Francisco ausgestellt hatte. Dann kontrollierte er seinen Revolver, Marke ›Star‹, den er im Schulterhalfter trug, und nahm zwei automatische Klappmesser aus der Tasche seines Jacketts. Das eine stammte von dem Zuhälter, den er in Charos Wohnung
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