Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
anzuziehen. Der Portier gab ihm seinen Zimmerschlüssel und bat ihn, einen Augenblick zu warten. Aus dem Hintergrund der Hotelhalle kam ein riesenhafter Regenmantel auf ihn zu, den ein winziger Tirolerhut mit einer grauen Feder krönte. Ein reinblütiger Arier wies sich rasch mit seiner Plakette als Polizist aus. Er fragte Carvalho auf englisch, ob er ihn kurz sprechen könne. Sie nahmen in der Ecke Platz, aus der der Polizist gekommen war. In seiner Hand erschien ein Holzkästchen, das Zigarillos im Zahnstocherformat enthielt. Carvalho bediente sich.
»Wir haben oft an Sie gedacht.«
»Inzwischen ist eine Menge Zeit vergangen.«
»Nicht genug. Sie waren hier zwei Jahre lang als Sicherheitsexperte tätig.«
»Es war ein politischer Auftrag.«
»Ja, ich bin darüber informiert. Mein Kollege Rinus Kayser erinnert sich gut an Sie, er läßt Sie grüßen. Leider konnte er nicht persönlich kommen. Wollen Sie länger in Holland bleiben?«
»Nur drei oder vier Tage.«
»Aus welchem Anlaß?«
»Sehnsucht.«
»Ein Mädchen?«
»Amsterdam. Die Stadt übt einen Zauber auf mich aus.«
»So. Sie kommen tatsächlich nicht aus einem beruflichen Grund? Wir könnten Ihnen behilflich sein.«
»Ich arbeite selten und dann nur als Privatdetektiv. Ich lebe jetzt in Spanien, wo dieses Metier lediglich zur Überwachung untreuer Ehefrauen gebraucht wird.«
»Untreue Ehemänner werden nicht überwacht?«
»In Spanien ist es der Mann, der das Geld besitzt, um die untreue Frau beschatten zu lassen.«
»Haben Sie etwa einen Fall in Holland?«
»Auch in Spanien gibt es Motels. Die untreuen Frauen müssen mit ihren Liebhabern nicht nach Holland fahren, um jemandem Hörner aufzusetzen.«
»Gut. Jedenfalls wissen Sie, wo wir zu finden sind. Es wäre uns sehr unangenehm, wenn Sie kein Vertrauen mehr zu uns haben sollten.«
Carvalho verabschiedete sich von dem Polizisten mit keltischer Liebenswürdigkeit. Er begleitete ihn sogar durch die Drehtür hinaus auf die Straße. Danach, auf dem Weg zu seinem Zimmer, ließ er sich das Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Er hatte nicht erwartet, daß es so schnell gehen würde. Natürlich wußte er, wo sie zu finden waren. In Holland sieht man keinen einzigen Polizisten auf der Straße, dafür gibt es so viele kleine Polizeiwachen wie in Spanien Maronenverkäuferinnen im Winter. Er überlegte, ob er wohl überwacht würde, solange er im Land war. Das war kaum anzunehmen, es sei denn, seiner Ankunft wäre eine Mitteilung der spanischen Polizei vorausgegangen. Dies käme aber nur in Frage, wenn diese über seinen Auftrag Bescheid wüßte und ihn mit der Rauschgiftgeschichte in Verbindung bringen würde. Aber wahrscheinlich handelte es sich einfach um eine indirekte Warnung seitens der ›Politie‹. Wir wissen, daß du hier bist, aber nicht mehr als Sicherheitsexperte, der im Auftrag der US-Regierung besonderen Schutz genießt. Gut. Er war informiert und nahm an, daß die Sache damit erledigt war.
Der Gedanke an das indonesische Restaurant beendete seine Grübeleien. Mit jedem Schritt, der ihn seinem Ziel näher brachte, wurde sein Appetit größer. Er ließ auch nicht nach, während ihn der Lift zu dem Stockwerk brachte, wo sich das Lokal befand. Angesichts der reichhaltigen Speisekarte, die er aufgeschlagen hatte, entschied er sich für das einzig Mögliche, nämlich für eine
Rijsttafel
, und zwar die teuerste. An jedem anderen Ort der Welt wäre es ein Sakrileg gewesen, zur
Rijsttafel
etwas anderes als Wein zu trinken. Aber hier in Holland bedeutete es Ketzerei, nicht ein paar Gläser kühles Bier dazuzubestellen. Das zeremonielle Entzünden der Kerzen unter den Tellerchen der
Rijsttafel
deprimierte ihn etwas. Es war das charakteristische Stimmungstief, das einen befällt, wenn man allein essen muß. Angesichts dieses gefährlichen Gemütszustands hilft nur eines: reichlich und erstklassig essen! In fünf Minuten führt der Magen einen überzeugenden Kampf mit dem Gehirn, und wie immer bei solchen Kämpfen siegt die praktische über die theoretische Intelligenz. Die Zunge übernimmt die Vermittlung zwischen Fleisch und Geist und stiftet ihren Liebespakt mit der Perfektion einer graduierten Kupplerin. Die Erdnuß bestimmte den Geschmack der Saucen, entweder als Beilage oder als direkte Zutat. Die abwechslungsreiche Palette von Geschmortem und Gebratenem paßte sich, abgemildert durch die Saucen, dem weißen und neutralen Ruhebett des indischen Langkornreises an. Und wenn die Zunge
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