Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
immer noch die Abteilung für südländische Immigranten?«
»Ja.«
»Gut. Ich suche die Spur eines Spaniers, der bei Philips in Den Haag gearbeitet hat. Ich weiß nur, daß er eine Tätowierung trug, die lautete: Ich bin geboren, das Inferno aus den Angeln zu heben.«
»Klingt wie ein Vers von Milton.«
»Ist es aber nicht.«
Max winkte ihn ins folgende Zimmer. Er wühlte in der Kartei für ›Besondere Kennzeichen‹.
»Diese Tätowierung ist hier nicht registriert.«
Mechanisch und ohne bestimmte Absicht sah sich Pepe einige Gesichter an, und allmählich wurde ihm bewußt, daß die Vergangenheit wieder lebendig wurde, die Zeit, als er mit Max und Cor für dieses Büro der CIA in Amsterdam gearbeitet hatte.
»Bedaure. Ich kann dir nicht helfen.«
»Du kannst mir helfen. Was du nicht weißt, weiß vielleicht ein anderer. Einer von den Ehemaligen könnte die Tätowierung kennen.«
»Meine Gewährsleute nützen dir nichts. Wenn sie etwas Derartiges gesehen hätten, wüßte ich davon.«
»Ja, in Ordnung. Aber deine Gewährsleute sind nicht die einzigen, die gut informiert sind. Nenne mir einen Anführer, irgendeinen spanischen Arbeiter von der Sorte, die eine gewisse Autorität besitzen und alles wissen, einer von denen, die man respektiert und um Rat fragt.«
»Einen Kommunisten?«
»Nicht unbedingt. Sogar lieber nicht. Sie sind zu mißtrauisch, und ich habe nur wenig Zeit, um die Information zu beschaffen. Einen ›geborenen‹ Anführer, wenn möglich unpolitisch.«
»Bei Philips in Den Haag?«
»Genau.«
Er schob ihn ins nächste Zimmer. Aus einem Schrank, der genau wie der vorherige aussah, fischte er eine Karteikarte. »Hier hast du, was du brauchst.«
Carvalho notierte sich Namen, Alter und Geburtsort jenes mageren, schmallippigen Vierzigjährigen mit gestutztem Bärtchen und einer Stirn, die durch eine Glatze mit eckigem Ansatz betont wurde. Max zeichnete ihm die Lage der Fabrikgebäude und der Ausgänge für die Arbeiter auf.
»Hier kommt er heraus, fast immer in Begleitung eines anderen. Ich glaube, sie sind Landsleute. Zwei Minuten nach zwölf triffst du ihn bestimmt. Sie gehen zum Essen.«
»Läßt du ihn beschatten?«
»Ab und zu.«
»Ist er ein Roter?«
»Nein, aber er arbeitet mit ihnen zusammen, wenn er glaubt, daß es sich um eine rein gewerkschaftliche Sache handelt. Und die Roten suchen die Zusammenarbeit mit ihm, weil die Kollegen auf ihn hören.«
»Mißtrauisch?«
»Sehr.«
»Und wenn der nichts ist?«
»Schwierig.«
»Und über Prostituierte?«
»Das geht heutzutage nicht mehr. Es gibt ungeheuer viele, und nicht alle sind von der offiziellen Polizei erfaßt. Es gibt eine Menge privater Polizisten, die sie beschützen und verstecken. Früher waren die Deutschen und die Italienerinnen überschaubar, aber jetzt ist der Markt überschwemmt von Türkinnen, Griechinnen und … Spanierinnen.« Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Carvalho steckte seine Notizen ein und ging zum Ausgang.
»Leg den Schlüssel dorthin, wo du ihn geholt hast, oder nein, gib ihn lieber mir!«
»Ich lege ihn dorthin, wo ich ihn geholt habe.«
»Ich hoffe, das war das letzte Mal, daß wir uns begegnet sind!«
»Sag niemals nie!«
»Das tue ich aber!«
Carvalho wandte sich noch einmal um, er versuchte, das gesamte Stockwerk zu überblicken und sich zu erinnern, welche Rolle er eigentlich damals zwischen diesen Wänden gespielt hatte.
»Cor war ein guter Junge.«
Etwas Ähnliches wie ein Gefühl ließ Max’ Augen aufleuchten.
»Es geht ihm glänzend in Djakarta.«
»Ich weiß, er war schon während der Kommunistenpogrome von 1965 und 1966 dort. Und wen jagt er jetzt?«
»Die Roten vermehren sich wie Unkraut. Selbst die Renegaten verlieren nie ein gewisses Etwas!«
Carvalho tätschelte flüchtig Max’ Wange; der zuckte zurück wie vor einem Prankenhieb.
»Ich war nie ein Renegat, Max. Ich war nur ein zynischer Aussteiger. Mehr nicht.«
Die nördliche Sonne gab Pio Baroja recht. Sie verlieh den Farben verschiedene Schattierungen, überflutete sie jedoch nicht mit der brutalen Helligkeit des Südens. Es ist dieses nordische Licht, das in dem Meer von Grün für Abstufungen sorgt, die weinroten Ziegeldächer mit Patina überzieht und jedes einzelne Blatt an den Bäumen Amsterdams mit einem anderen Pinselstrich färbt. Carvalho mußte sich einen gewaltigen Ruck geben, um die Stadt hinter sich zu lassen und sich nach Den Haag aufzumachen. Vor dem Hauptbahnhof verzehrte er an einem
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