Per Anhalter (German Edition)
nachdachte, dann tat es erbärmlich weh! Nicht nur, dass ihre beiden Kinder immer unter ihr und ihren Launen zu leiden hatten, dass sie ihnen nie einen echten Vater bieten konnte und sie beide stets zurückstecken mussten, Abstriche machen mussten im Vergleich zu anderen Kindern, weil bei ihnen nie genügend Geld da war, musste ihre Prinzessin nun auch noch miterleben, wie ihr Bruder von heute auf morgen verschwand… musste sie das Auffangkissen für ihre Mutter sein. Sie hatte sie nicht darum gebeten, sie tat es von sich aus. Mehr als umgekehrt wahrscheinlich. Sie war mehr für ihre Mutter da, als die Mutter für sie.
Und David… Wäre er je von Zuhause weggelaufen, wenn alles in geregelten Bahnen gelaufen wäre? Wenn er die ständigen Berg- und Talfahrten ihrer Emotionen nicht miterlebt hätte, wenn sie ihm ein bisschen mehr geboten hätte, nicht nur materiell sondern auch emotional? Wenn sie ihm und ihrer Tochter wenigstens eine einzige Konstante im Leben geboten hätte, wäre dann auch alles so wie jetzt? Sie fühlte sich todtraurig und vor allem schuldig! Verdammt noch mal, sie war schuldig.
Widerlich egoistisch und, immer angewiesen auf einen Leitwolf, der ihr einen Weg aufzeigte. Und jedes Mal klammerte sie sich an den nächstbesten. Gut, sie war inzwischen so schlau, sich nicht auf Stephan einzulassen, immerhin, aber es gab Zeiten, da hätte sie ihn unbesehen einfach genommen.
So, Kinder: Das ist Stephan. Stephan wohnt jetzt hier. Stephan ist euer neuer Vater, also behandelt ihn anständig und mit Respekt. Und respektiert auch, dass Stephan gerne mal einen trinkt und besoffen lallend in der Ecke sitzt… Oder meistens nicht da ist, weil er mit seinen Leuten bei der Tankstelle steht um zu saufen… Er ist nicht für Euch da, um mit Euch Hausaufgaben zu machen oder in den Freizeitpark zu fahren, sondern für mich. Er sagt, er weiß was er tut, und ich glaube ihm. Er arbeitet nicht, aber ich arbeite, okay? Außerdem mache ich meine Beine für ihn breit. Ihr braucht gar nichts tun – ihr müsst ihn nur respektieren und hören wenn er etwas sagt. So, und nun geht ins Bett. Mama und Stephan wollen ihre Ruhe haben. Und noch etwas: Mama hat auch keine Lust mit euch Hausaufgaben zu machen. Ich bin müde von der Arbeit, versteht ihr? Außerdem habe ich Stephan den ganzen Tag noch nicht gesehen…
Sie erschrak vor sich selbst.
Sie übertrieb mit dem was sie dachte nicht. Es war die ungeschönte Wahrheit. So war ihr Verhalten! Genau so verhielt sie sich, wenn sie wieder einmal einen neuen Partner hatte. Und wenn sie keinen hatte, dann mussten David und Nadja gefälligst damit leben, dass es ihr schlecht ging. Ihnen ging es auch schlecht? In Ordnung, das ist echt bitter – aber es würde ihnen auf keinen Fall so schlecht und so dreckig gehen wie ihr.
Und wenn doch, dann war das halt ihr eigenes Problem.
Ich weiß, dass Kinder auch dann eine Mutter brauchen, wenn es einer Mutter schlecht geht. Dafür sind Mütter doch schließlich da. Oh Mann, aber ich kann mich da nicht auch noch drum scheren. Ich bin viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt und mit dem Leben in diesem verfluchten grauen Nebel. Ich rege mich darüber auf, weil die Männer alle nicht mit Geld umgehen können. Weil sie die finanzielle Situation nicht verbessern, sondern das Geld eher für Schnaps und Zigaretten raus hauen. Ich bin sauer , weil sie sich nicht mit meinen Kindern arrangieren können… Obwohl sie ja Recht haben, die beiden sind unmöglich… Trotzdem… Nein… Nein, die beiden waren immer unmöglich zu all meinen Männern … Gönnen sie mir mein Glück nicht??? Das ist albern, oder? Ja, das ist albern! Trotzdem… Irgendwie sind hier alle schuldig. Alle, außer ich, natürlich. Ich bin nur das arme, bemitleidenswerte Häufchen Elend, das wieder einmal sehen muss, wo es bleibt. Wie immer im Leben, nicht wahr?! Wie immer kann ich sehen, wo ich bleib. Kann schuften gehen und mich wieder schön neu orientieren. DANKE LIEBE WELT!!!
Und nun bekam sie die Quittung… Und die war hart! Viel härter als jede Trennung, die sie inzwischen hinter sich hatte. Ihr Sohn, so sehr er ihr Nervenkostüm auch strapazierte, besonders in letzter Zeit, sie liebte ihn abgöttisch. Ihre Tochter, die noch so zart und so rein war, so unbefleckt und unschuldig, manchmal ein kleiner Drachen und doch so unendlich wundervoll… Sie waren verdammt noch mal beide wundervoll.
Ihre Kinder, das waren die wundervollsten Kinder der Welt!
Und jetzt? Jetzt
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