Per Anhalter (German Edition)
war. Ihr Bein hämmerte unentwegt gegen den Tisch. Sie fror, musste sich eine Strickjacke überwerfen. Die Worte der Polizisten gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Ihre Gedanken waren eine einzige, sich drehende Kugel – Rauf und runter, immer die gleichen Worte, dieselben Schreckensbilder. Sie schaltete das Radio ein und nach nur einer Minute wieder aus.
Das half nicht, um sich abzulenken.
Die Musik machte sie nur noch verrückter – sie spielten Boney M.
Sie versuchte ihre Gedanken dahingehend zu beeinflussen, dass sie sich sagte, dass nun Bewegung in die Sache kam, dass sie nun nach ihrem Sohn suchten, aber die Vorzeichen waren so schlecht, wie sie schlechter gar nicht sein konnten.
Wilde , die in Wohnwagen hausten, die einen Polizisten niedergeschossen hatten… Das Handy ihres Sohnes ganz in der Nähe… All diese Dinge waren so unwirklich.
Sie lebte in der finsteren Seifenblase eines nicht enden wollenden Albtraums.
Sie verstand doch die Welt in der sie lebte, sie war doch nicht beschränkt oder blöd – sie wusste wie der Hase läuft – und so, wie jetzt die Dinge standen, konnten sie gar nicht stehen. Das ging nicht. Das war völlig... Unmöglich!
Sie stand auf und wusste gar nicht warum. In der Fensterbank stand die Gießkanne. Sie drehte den Wasserhahn auf und wollte sie holen. Sie wollte Blumen gießen. Aber das hatte sie im nächsten Moment schon wieder vergessen. Sie stützte sich über der Spüle ab und sah dem Wasser dabei zu, wie es in den Abfluss lief… und lief… und lief… und lief… Dann stellte sie das Wasser wieder ab und ging zum Fenster. Ihre rechte Hand berührte den Henkel der Gießkanne, streichelte ihn.
Draußen war die Welt wie immer. Alles war wie immer. Der Rasen wuchs weiter, die Vögel flogen auf die Zweige und Äste der Bäume… und flogen wieder fort… Dort fuhr ein Auto und da ein Mann auf seinem Fahrrad. Dann kam wieder ein Auto vorbei. Die Fensterbank war mit Fliegenscheiße gesprenkelt. Vielleicht war es auch etwas anderes. Jedenfalls waren es schwarze Punkte. Sie musste dort mal wieder wischen.
Und draußen fuhr wieder ein Auto vorbei. Ein altes Ehepaar ging spazieren. Sie grüßten den Autofahrer oder die Autofahrerin. Der Mann trug eine Mütze, unter der sein schlohweißes Haar hervor blitzte.
Die Frau sah glücklich aus – klein, dick und gemütlich. Beide wirkten sehr zufrieden. Sie waren im Reinen mit sich und der Welt.
Das da draußen war die richtige Welt . Dort gab es keine Irren in Wohnwagen. Da war alles in Ordnung. Wie sonst konnten diese Menschen einfach so ihre Leben leben?
Sie versuchte, sich auf diese Welt zu konzentrieren und für ein paar Sekunden gelang es ihr – doch dann musste sie zur Toilette.
Schnell, ganz schnell.
Sie hatte Durchfall.
Es lief aus ihrem Arsch wie Wasser.
Ihre Eltern wollten kommen. Vielleicht war es gut… Aber wahrscheinlich nicht…
Sie wollte niemanden um sich herum haben. Nicht einmal Nadja. Aber Nadja würde auch bald wach werden, und was sollte sie ihr dann erzählen? Wo sollte sie überhaupt anfangen? Wo sollte sie anfangen zu erzählen? Was, wenn ihr Vater Fragen stellte… oder wenn Nadja Fragen stellte… oder ihre Mutter…
Ihr wurde speiübel und sie fing an stumm zu weinen.
Ein kaputtes, zitterndes Wrack auf der Toilette, dass einfach nur weinte. Gänsehaut brach auf ihren Beinen und den Oberschenkeln aus, sie fühlte sich fiebrig, als hätte sie sich etwas eingefangen, doch in Wahrheit war es nur ihre Psyche, die gerade dabei war, alles auf den Kopf zu stellen.
Ihr rechtes Bein zitterte, dann das linke, dann beide… sie sah die Fliesen des Badezimmers… Ihr Magen zog sich zusammen… David tauchte wieder in ihrem Kopf auf… Himmel, fühlte es sich so an, wenn man wahnsinnig wurde?
Die Toilettenschüssel war von oben bis unten bespritzt mit ihrem Stuhlgang. Flockiger Brei, Toilettenpapier, eine grün-braune Soßenpfütze im Abfluss.
Sie spülte.
Nur die Pfütze war weg. Die flockigen Brocken klebten jedoch noch immer in der Schüssel. Mit apathischer Leidenschaftslosigkeit schrubbte sie sie mit der Klobürste fort und spülte dann erneut. Im Badezimmerschrank befand sich WC-Reiniger. Sie öffnete die Flasche und drückte eine beträchtliche Menge des Inhalts in die Kloschüssel.
Dann hielt sie sich die Reinigerflasche vors Gesicht, hockte sich auf den Fußboden und las sich minutenlang die Inhaltsstoffe und Verpackungsdetails durch…
Für frischen Glanz in Bad und
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