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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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stehe Todesängste aus um diesen Jungen, ich mach nachts kein Auge mehr zu, ich weiß weder ein noch aus und das einzige was du dazu beizutragen hast, ist hier anzukommen und mir zu sagen, wie ich mich verhalten muss, weil David möglicherweise einen Mord begangen hat?“ Sie fasste sich an den Kopf.
    „Also manchmal glaube ich, du tickst da oben nicht mehr ganz sauber!“ – Er blaffte zurück:
    „ Ich tick da oben nicht sauber? Jetzt hör mir mal gut zu: Dieser Bengel, dein Junge, von dem hättest du niemals geglaubt, dass er seinen Ausbildungsplatz verliert, weil er seinen eigenen Chef beklaut, oder?“,
    „Das ist…“,
    „Zweitens! Dein Junge kümmert sich einen feuchten Scheiß um seine Zukunft. Dem ist alles egal. Scheißegal um genau zu sein. Und du maßt dich an noch zu glauben, ihm ist irgendwas ganz schlimmes zugestoßen? Dem armen, armen Jungen… Da frag ich mich doch, ob du noch richtig tickst.“,
    „David ist kein Verbrecher!“,
    „IST ER NICHT?“,
    „NEIN! IST ER NICHT! Und wenn du nicht auf der Stelle aufhörst, mir mit dieser gequirlten Kacke zu kommen, dann möchte ich, dass du diese Wohnungstür von außen zu machst. Haben wir uns da verstanden, Papa?“
    Überraschender Weise kam nichts darauf zurück.
    In seinem Gesicht stand blankes Entsetzen geschrieben. Gegenwehr kannte er inzwischen auch von seiner Tochter, aber derartig von ihr angeschrien zu werden, das war offenbar mehr, als er im Augenblick vertrug.
     
    Mareike atmete schwer. Ihr Herz hämmerte wild.
    Und nun fing sie doch wieder an zu heulen – aber dieses Mal vor Wut.
    Wut, über dieses Arschloch das da vor ihr saß, und das nicht über einen Funken Empathie verfügte.
    Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein?
    „Dass er Scheiße gebaut hat, schön und gut, das will ich nicht abstreiten. Aber meinem Kind einen Mord auch nur zuzutrauen , das finde ich ganz ungeheuerlich. Wie verzweifelt und verbohrt bist du eigentlich, dass du nicht einmal jetzt dazu in der Lage bist wie ein Familienmitglied zu denken?“,
    „Ich mein das doch nur…“,
    „Ja, du meinst das doch nur gut. Du meinst es ja immer nur gut, oder? Immer meinst du es nur gut mit uns, solange wir alle brav parieren wenn du was sagst.“
    Er schaute auf sein Käppi nieder und spielte mit einem Faden, der sich gelöst hatte. Wie ein kleiner Junge, der vom Lehrer eine Abreibung bekommt und sich, beschämt und erniedrigt, nicht anders zu helfen weiß. Zum ersten Mal in ihrem Leben, hatte sie so etwas wie Macht gegenüber ihrem Vater. Zum ersten Mal ließ sie sich nicht von ihm den Mund verbieten. Zum ersten Mal schien er einzusehen, dass er übers Ziel hinausgeschossen war.
    Oder?
    Sicher war sie sich noch nicht, aber es sah danach aus, als ob es so war.
    „Und jetzt will ich dir mal was sagen, Papa: Selbst wenn , nur wenn , dass er es nicht getan hat das weiß ich, denn ich bin seine Mutter, aber selbst wenn mein Sohn irgendwen umgebracht hätte , sei es ein Polizist oder einen Nobody, scheißegal, ich würde ihm trotzdem noch zur Seite stehen. Verstehst du das?“
    Er antwortete nicht. Tränen flossen über Mareikes Wangen.
    Nadja stellte sich neben sie, legte ihren Kopf an ihre Schulter und weinte ebenfalls, was sie an der Nässe auf ihrer Schulter spürte.
    „Ob du das verstehst , frage ich dich. Oder schreibst du deine Familie ab, wenn sie dir nicht konform genug ist?“,
    „Ich glaub, ich muss dazu nix sagen, Mareike.“,
    „Glaubst du, ja? Ich glaube aber schon, Papa. Das glaub ich aber schon! Es ist schlimm genug, dass du deinem eigenen Enkel überhaupt so etwas zutraust, schlimm genug! Aber dass du hierher kommst, es nicht einmal nötig hast, mich in den Arm zu nehmen oder sonst was, sondern mir nur zu sagen, dass ich meinen Arsch zu retten habe, dass ist armselig …“
    Das Wort armselig wurde durch ihr Weinen erstickt. In genau diesem Moment brach die harte Fassade ihres Vaters zusammen. Sein ohnehin faltiges Gesicht wurde zu einem einzigen Faltenmosaik – seine Augen wurden klein und es flossen Tränen daraus hervor… Und er konnte nichts dagegen tun. Nichts!
    Er nahm seine Brille von der Nase und weinte. Endlich zeigte dieser verbohrte alte Mann überhaupt mal wieder dass er ein Herz hatte. Auch wenn ihr Herz an dem Anblick regelrecht zerbrach (sie hatte ihren Vater noch nie weinen gesehen), es war bitternötig! Nadja drückte ihren Kopf fest an ihre Schulter. Ihr Körper war ganz steif, nur ihr Brustkorb bewegte sich durch ihren Weinkrampf.

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