Per Anhalter (German Edition)
WC.
Fresh-Lemon.
Für frischen Glanz in Bad und WC.
Sie saß da und stellte sich die Frage, wer wohl das Design entworfen hatte. Wer immer es war, er hatte bestimmt nie einen Jungen verloren…
Ihr Bein wippte wieder… ihr ganzer Körper war in Bewegung… daran durfte sie nicht denken, aber sie konnte nicht anders.
Fresh-Lemon , daran musste sie denken. Fresh-Lemon… aber nicht einmal das half jetzt mehr, denn draußen im Flur vernahm sie Schritte.
Nadja war also wach.
„Mama?“ hörte sie sie sagen.
Sie stand auf.
Na toll, das kann ich ja jetzt brauchen. Warum lasst ihr mich nicht alle in Ruhe???
„Mama?“, sie musste jetzt funktionieren, aber sie konnte nicht… Das ging jetzt nicht… „Mama?“,
„Ich bin hier Schatz!“ sie presste ihre Zähne aufeinander, so aggressiv und geladen war sie,
„Ach so. Ich wollte dich fragen, ob ich zum Bäcker gehen soll und Brötchen holen.“
In diesem Moment wusste Mareike, dass ihre Tochter genau Bescheid wusste. Vielleicht hatte sie sogar mitbekommen, was die Polizei gesagt hatte, wundern würde es sie nicht. Aber auch wenn dies nicht der Fall war – ihre Tochter hatte dermaßen feine Antennen – sie wusste immer genau, wenn etwas nicht stimmte. Freiwillig wäre sie sonst nie auf die Idee gekommen, zum Bäcker zu gehen und Brötchen zu holen. Nie! Das hieß, sie musste etwas gemerkt haben. Gemerkt oder gehört oder vielleicht auch beides.
„Ja, kannst du machen.“,
„Okay. Wo hast du denn Geld? Oder soll ich das erstmal von meinem Taschengeld bezahlen und du gibst mir das dann gleich wieder?“
Taschengeld… David hat früher auch Taschengeld bekommen…
„Mama?“,
„Was?“,
„Ich bezahl das erstmal von meinem Taschengeld, okay? Und du gibst mir das dann wieder, nä?“,
Halt deine Klappe, Nadja, merkst du nicht, dass ich dafür keinen Kopf habe?
„Ja, ist gut, Schatz.“,
„Willst du Mohn oder Sesam?“
Ich will gar nichts, ich will meine Ruhe. Hör bitte auf dich einzuschleimen, Kind. Ich meine es nicht böse, aber ich ertrage das gerade nicht…
„Egal!“,
„Oo-kee.“,
„Nimmst du für Oma und Opa auch Brötchen mit. Nimm mal vier Einfache und den Rest… Was du willst. Egal.“,
„Ja, mach ich.“
Es kostete sie große Überwindung, aber sie wusste, dass Nadja es im Prinzip nur gut meinte:
„Danke Schatz. Das ist lieb von dir!“,
„ Bis gleich, Mama“, du mich auch, du Schleimbolzen!,
„Bis gleich, mein Liebling!“
Die Haustür fiel ins Schloss. Sie schämte sich plötzlich, so widerwärtige und niederträchtige Dinge gedacht zu haben. Nadja hatte ihre Gedanken ja nicht gehört, aber… Es ging ums Prinzip… Sie meint es nur gut, weiter nichts. Natürlich hat sie etwas mitbekommen, aber sie ist ein Kind. Und David ist ihr Bruder . Sie ist verzweifelt. Sie will sich nicht einschleimen, sie versucht mir zu helfen.
(Ich will keine Hilfe),
das weiß sie nicht,
(Ich will nur, dass David wieder kommt… Mehr will ich gar nicht…)
Und wieder wurden ihre Gedanken zur rotierenden Kugel… David, die Polizisten… Die Arbeit!
Die Arbeit, die am Nachmittag noch auf sie wartete. Die verfickte SCHEISSARBEIT!!! Da musste sie absagen, das ging gar nicht. Das konnte sie heute nicht bewerkstelligen. Aber konnte sie es bewerkstelligen, dort anzurufen und es dem Chef zu sagen???
Was kann ich überhaupt? Was kann ich ÜBERHAUPT, verdammt?
Sie schleuderte den Kloreiniger gegen die Wand und fragte sich noch im gleichen Moment, ob sie noch ganz klug war oder ob ihr Verstand jetzt gänzlich den Bach runtergegangen war. Dass die Flasche nicht zerplatzt war, grenzte an ein Wunder. Immerhin – es half. Sie hatte die Scheißflasche fortgeworfen, sich Luft gemacht, und sie war nicht einmal kaputt gegangen… Ich werde bekloppt… Ich werde total bekloppt… Ich kann nicht mehr!!! Ich kann nicht mehr!!!
***
Es war schon beachtlich, wie schnell sie ihre Fassung zurück erlangte, als ihr Vater zur Tür herein kam. Sie wollte nicht vor ihm heulen oder sich die Blöße geben zu sagen, sie könne nicht mehr. Solche Dinge waren für ihn die Steilvorlage zum drauftreten. Er wäre sofort hochgegangen wie ein HB-Männchen.
Augenblicklich wäre infolgedessen die ganze Litanei wieder losgegangen, von wegen er hätte es ja schon immer gesagt, sie hätte David nicht so viel durchgehen lassen dürfen, hätte viel eher mal härter durchgreifen müssen und, und, und. Das würde später sowieso wieder kommen.
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