Per Anhalter (German Edition)
Oder umgebracht… dann ist das alles meine Schuld!!!
Sie schaute dem Polizisten in die Augen. Im Hintergrund hörte sie Stimmen aus dem Funkgerät des jüngeren Polizisten… und rauschen… und wieder Stimmen…
„… ja aus Rendsburg irgendwie her kommen, oder?“,
„Was?“,
„Ich sagte, er kommt aus Rendsburg, und irgendwie musste er ja hierher kommen. Mit dem Bus, mit dem Zug, mit dem Fahrrad, dem Roller… Oder… Wollte er mit jemandem mitfahren?“
Er wollte per Anhalter fahren…
Und sie hatte sich nicht ein einziges Mal ernsthaft Gedanken darüber gemacht, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Für sie war er nur ein Arschloch, ein mieser Betrüger…
Plötzlich lag eine immense Last auf ihren Schultern.
„Wie bitte?“ fragte sie noch einmal. Der Polizist nickte.
„Hat er dir irgendetwas gesagt, Lena? Er muss doch gesagt haben, wie er zu dir kommen möchte. Er ist 16. Dass er sich nicht in sein Auto setzt und her kommt, ist ja ganz klar. Wollte er mit irgendwem mitfahren, hat er was gesagt?“
Sie zuckte mit den Schultern.
Dann nickte sie.
„Er meinte, er wird mitgenommen…“,
„Von wem , Lena? Du musst uns jetzt bitte genau sagen was du weißt. Hat er vielleicht jemanden im Internet kennen gelernt, mit dem er mitfahren wollte? Weißt du da was?“
Sie schüttelte den Kopf. Aber ich weiß etwas , und ich weiß , dass du das siehst , dachte sie.
„Schau mir mal bitte in die Augen, Lena, und dann sag mir die Worte: Ich weiß wie er herkommen wollte, oder ich weiß nicht wie er herkommen wollte. Beziehungsweise mit wem.“
Aber sie brachte es nicht fertig, ihm in die Augen zu sehen. Ihre Augen fixierten die Fußleiste, und die Wand und die Füße der Kommode… Sie bemerkte, wie der andere Polizist, Jens Fuhlendorf, an ihr vorüber ging. Er tat so, als würde ihn das alles nichts angehen, als würde er sich nach wie vor umsehen und warten, bis sein Kollege sagte, dass sie wieder los fahren. Doch dann stellte er sich neben seinen Kollegen hin, verschränkte ebenfalls die Arme und bemerkte, „Hier ist er jedenfalls nicht.“
„Na siehst du. Also hier angekommen ist er nicht. Er wollte aber hierher kommen. Lena, es ist nicht ausgeschlossen, dass David einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Wir wollen dir doch nichts anhängen, Mensch. Aber wenn du etwas weißt , und ich glaube das ist der Fall, dann musst du uns das jetzt wirklich sagen. Sonst müssen wir deinen Computer und dein Handy mitnehmen, und das alles mühevoll selbst herausfinden. Und das ist denke ich mal weder in deinem, noch in unserem Interesse, oder?“ Jetzt sah sie die beiden Männer abwechselnd an.
„Ich hab echt keine Ahnung…“ stammelte sie um Atem ringend. Schlussendlich konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Er wollte mit… Er wollte per Anhalter fahren.“ Sie hörte, wie einer der beiden zischend Luft holte. Und nun fühlte sie sich erst recht schuldig.
„Ich wusste doch nicht, dass… ich dachte er… Ich dachte er wollte mich nur verarschen “ weinte sie.
„Ich dachte, er war nur zu feige um zu kommen. Oh Scheiße, ey.“
Uwe Abels raunte seinem Kollegen etwas zu, dass sie nicht verstand. Sie hörte nur, wie Jens Fuhlendorf sagte „Okay“ sagte und sah, wie er los marschierte.
„Setz dich mal hin“, sagte Abels dann.
„Komm, setz dich mal hier aufs Bett, Lena. Oder hier…“ er zog den Stuhl unter ihrem Schreibtisch hervor und schob ihn ihr zu. Sie setzte sich darauf und erfuhr im gleichen Moment, dass sich in der Polizeiuniform sogar Taschentücher befanden, denn Uwe Abels reichte ihr eines.
„Komm, ganz ruhig, Lena. Es ist alles gut. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, dann wollte David zu dir kommen, du hast mit ihm gerechnet und warst dann enttäuscht, dass er nicht kam, richtig?“
Sie nickte und putzte sich dabei die Nase. Sie war noch immer außerstande, dem Beamten ins Gesicht zu sehen.
In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie dermaßen schlecht und schuldig gefühlt wie jetzt.
„Ich kann das voll und ganz verstehen, Lena. An deiner Stelle wäre ich garantiert auch enttäuscht gewesen. Wenn ich jemanden kennen lerne und der sich mit mir treffen möchte, und der kommt dann einfach nicht… Ist doch ganz klar, dass man sich da belogen und beschissen fühlt. Und du hast seitdem auch nichts mehr von David gehört?“,
„Nein!“,
„Wann hast du denn zum letzten Mal was von ihm gehört?“
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