Per Anhalter (German Edition)
die ganze Scheiße seit Jahren und waren nie gefasst worden. Und noch etwas fiel ihm ein: Sie hatten ihm gesagt, sie kannten seine Adresse, wussten über alles Bescheid.
Woher sie das alles wissen wollten war ihm nicht klar, doch er sah keinen Grund daran zu zweifeln. Es passte zu diesen Leuten.
Er fragte sich, was sie wohl gerade taten. Wenn sie nun auf dem Weg zu ihm nach Hause waren... Wenn sie gar nicht nach ihm suchten sondern sofort und konsequent sagten: „David hat seine Chance gehabt. Jetzt reicht es uns.“
Er hatte einen Kloß im Hals bei der Vorstellung. Das alles war keineswegs utopisch. Nicht bei denen!
Sie würden alles daran setzen, ihm sein Leben bis in alle Ewigkeit zur Hölle zu machen, auf welche Art und Weise auch immer.
Bleib ruhig , sagte er sich, bleib ruhig. Nicht so viel darüber nach denken. Bald bin ich in einem Dorf oder einer Stadt. Und was ist, wenn ich in die falsche Richtung laufe? Was, wenn am Ende des Waldes nur ein See ist? Oder eine Klippe oder so. Das wäre doch typisch. Bei meinem Glück in letzter Zeit.
Die Gedanken verursachten ein groteskes Stechen in seinem Kopf. Sein Blutdruck war ganz bestimmt weit jenseits von gut und böse. Kurz verschaffte ihm die Angst wieder einen leichten Auftrieb, doch der war genauso schnell wieder vorbei, wie er gekommen war.
Der Weg machte eine leichte Biegung und er konnte wieder die Kirchturmspitze sehen. Auch die Dächer einiger Häuser konnte er nun erkennen, doch das alles erschien ihm noch so weit weg. Unerreichbar weit... Dazwischen lagen Felder. Offene Felder, auf denen er von den Wahnsinnigen beobachtet werden konnte.
Wenn er hier im Wald weiterginge, konnte er sich zumindest hinter Bäumen verstecken oder in irgendwelchem Dickicht verkriechen.
Parallel zu den Feldern erstreckte sich der Wald. Das Gelände wurde in etwa einhundert Metern etwas abschüssiger. Er ging ja auch nicht auf einem Wanderweg sondern mitten durch die Wildnis. Irgendwann würde der Wald so oder so vorbei sein, wenn er an den Feldern entlang ging. Die Gegenrichtung führte einmal zu dem mit Maschendrahtzaun abgetrennten Gelände und einmal zurück zu den Wohnwagen.
Ihm blieben also nur die Optionen eins: im Wald weitergehen, und zwei: über die Felder laufen. Letztere war mit mehr Risiko behaftet, aber er würde auf die Art zumindest mit Sicherheit auf andere Menschen stoßen.
Auf gesunde Menschen. Menschen mit normalem Verstand. Menschen, die nicht einmal ahnten oder zumindest weit von sich entfernt hielten, dass es Leute wie Britta gab. Oder Mario. Oder Lasse...
Wenn ich meine Geschichte erzähle, wird man mich vielleicht auslachen , dachte er. Oder man erklärt mich für verrückt. Ein halbnackter Junge mit ´nem Baby auf dem Arm. Bekleidet mit einem schäbigen T-Shirt, unten rum ganz nackt… Kommt aus dem Wald heraus marschiert und behauptet doch allen Ernstes, irgendwelche Wahnsinnigen hätten ihm die Klamotten ausgezogen. Mal ehrlich, entweder ist der Junge selbst von der Rolle, oder er hat sich ein paar Horrorfilme zu viel angesehen. Das wird mir doch kein Mensch glauben. Die Leute werden definitiv denken, ich hab einen an der Waffel.
Er schaute das Baby an. Es sah unglaublich niedlich aus.
Ohne Frage, das Kind war kein Auswuchs von ihnen. Aber was sollte er eigentlich tun, wenn die kleine Maus nun Hunger bekam? Oder sich die Windeln voll kackte? Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Das kleine Bündel auf seinem Arm lebte und er war dafür verantwortlich.
Und nicht nur das – auch ihm selbst wurde allmählich etwas flau im Magen.
Wann habe ich eigentlich zum letzten Mal was gegessen?
Er blieb stehen und schaute auf die Felder hinaus. Dann blickte er an sich herunter. Eigentlich konnte es ihm schnurz-piep-egal sein, wenn jemand seinen Schniedel sah, Hauptsache ihm wurde geholfen. Doch die Vorstellung war arg befremdlich. So wie alles im Moment irgendwie befremdlich war.
Vorsichtig stieg er die Böschung hinab.
Unten befand sich ein Stacheldraht, der das Feld eingrenzte.
Auch der Stacheldrahtzaun ist mal von irgendeinem Menschen aufgestellt worden. Genau wie der Müll hier irgendwann mal von Menschen abgelegt wurde. Was sind das bloß für Menschen, die hier in dieser Gegend rum rennen, wenn es nicht gerade Britta und Co. sind? Und wie oft kommt hier wohl noch ein Mensch vorbei? Die Glasscherbe sah jedenfalls so aus, als hätte sie Jahrzehnte in der Erde überdauert.
Der Wald an sich wirkte ziemlich unberührt, und
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