Per Anhalter (German Edition)
gleiches galt auch für den Stacheldraht. Zwar war er noch straff gespannt und hing nirgends herunter, aber die Holzpflöcke, an denen er befestigt war, waren extrem morsch. Die Witterung vieler Jahre hatte ihnen zugesetzt. Vorsichtig versuchte er, unbeschadet über den Draht hinweg zu klettern. Er stand mit gespreizten Beinen darüber und fragte sich, ob wohl Strom drin war… Und wie sich der Strom an seinem nackten Schwanz anfühlen würde… oder an seinen nackten Beinen…
Kein besonders erbauender Gedanke.
Das rechte Bein war bereits auf dem Feld, das linke quasi noch im Wald.
Und ausgerechnet jetzt musste er an diese gequirlte Scheiße denken.
Verunsichert von dem bitteren Bühnenstück seiner Fantasie, geriet er ins Wanken. Mit letzter Kraft hob er das linke Bein, stolperte und wäre um ein Haar – mit dem Baby auf dem Arm – hingefallen.
Dies konnte er gerade noch verhindern, aber dafür ratschte er sich sein Schienbein.
Wenigstens war er nun drüben. Und er wusste jetzt zumindest, dass kein Strom durch den Draht lief.
Er besah sich kurz die aufgeschürfte Stelle, doch außer einem kleinen Riss in der Haut war nichts passiert. Nichts, worüber man sich den Kopf zerbrechen musste.
„Bald sind wir wieder bei den Normalos“, sagte er zu der Kleinen.. Er hatte einfach das Bedürfnis zu sprechen. Ihr Mut zu machen… sich selbst Mut zu machen.
„Dann werden wir was Schönes futtern, das versprech ich dir.“ David begann wieder schneller zu gehen.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Wirklich nicht. Wir beide schaffen das. Wir sind jetzt so weit gekommen, den Rest schaffen wir auch noch locker.“ Dann hatte er das Bedürfnis, der Kleinen einen Kuss zu geben. Und genau das tat er. Er küsste sie auf die Stirn und atmete den Duft der weichen Babyhaut ein. Er drückte sie sanft an sich und blickte nach vorn. Auf die Kirche. Auf die Häuserdächer, die irgendwo dort vorne waren.
„Ich scheiß auf alles. Ich bring uns in Sicherheit!“ sagte er. Es tat gut, überhaupt zu reden, auch wenn das kleine Wesen ihn ganz bestimmt nicht verstand, so spürte es doch vielleicht zumindest, dass sich nun bald alles zum Guten wenden würde. Er hatte mal irgendwo aufgeschnappt, dass Kinder schon im Mutterleib Stimmungen spüren . Babys taten das vielleicht auch, so wie Hunde und Katzen. Es ist ein Urinstinkt, der in jedem Menschen steckt. Vielleicht wurde seine Zuwendung, seine Fürsorge und die Hoffnung mittels seiner Hände transportiert. Oder durch seine Lippen auf der Stirn. Er wünschte es sich. Er sah sie jetzt als Mitstreiterin an. Gemeinsam würden sie es schaffen. Sie gab ihm Kraft, er schenkte ihr Hoffnung. Ein fairer Deal. Und irgendwie klappte es. Sie würden es schaffen… Alles würde gut werden…
***
Lasse hörte, wie er mit Vivi sprach. Zwar verstand er nicht was David sagte, doch er hörte seine Stimme. Er selbst war völlig aus der Puste und schwitzte wie ein Ochse.
Wie süß, er spricht mit Vivi , dachte er, und hatte wieder jenes feiste Grinsen im Gesicht.
Wenn der wüsste, was ihm gleich passieren wird.
Hastig rutschte er den Abhang hinunter und kletterte über den Stacheldraht.
Das Beste war, dass David sich noch nicht einmal umgedreht hatte. Besser konnte es ja gar nicht für ihn laufen. Eine nette kleine Überraschung…
Er atmete durch die Nase. Noch immer quoll Blut aus ihr heraus. Das Messer befand sich ausgeklappt in seiner rechten Hand. Seine Nackenhaare stellten sich auf und er hatte eine Gänsehaut, so sehr bewegte und erregte ihn die Tatsache, dass er ihm inzwischen so dicht auf den Fersen war. Zwischendurch überlegte er immer wieder, einfach hey oder so zu rufen, und ihn damit auf sich aufmerksam zu machen. Aber irgendwie erschien ihm das nicht richtig. Zu unwürdig. Er wollte diesen Moment bis zuletzt auskosten. Vielleicht konnte er Davids Siegesgewissheit irgendwie noch deutlicher sehen oder spüren. Dann war es ihm nämlich eine noch größere Freude, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wo willst du denn hin, David? Ja, das konnte er sagen. Oder ich mache einfach BUH und stehe direkt hinter ihm. Ich hoffe dass er wie Sonja quiekt, wenn er sich erschreckt.
Lasse war aufgekratzt wie ein hungriges Tier das Beute wittert, doch er fühlte sich gleichzeitig so entspannt wie seit langem nicht mehr.
Seine Hose war durch sein steif gewordenes Glied ausgebeult. Er transpirierte noch heftiger als nach dem Sprint gerade eben. Unaufhörlich zuckten seine
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