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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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gemein ihr Großvater war und vor allem machte sie sich auch große Sorgen um ihren Bruder. Dafür hatte sie den ganzen Tag dicht gehalten, kaum etwas gesagt, ständig Rücksicht genommen und sich stärker gemacht, als sie in Wirklichkeit sein konnte. Nun brach ihre Fassade zusammen.
    Mareike war überrascht, wie ausgeprägt, grausam und mannigfaltig die Gedanken ihres kleinen Mädchens im Hinblick auf Davids Verschwinden waren. Sie musste sich selbst zurück stellen und für ihre kleine Prinzessin da sein. Ihr Mut zusprechen, sie auffangen. Sie brauchte ihre Mutter jetzt mehrdenn je.
     
    Sie hörte ihre Eltern im Wohnzimmer diskutieren, während sie einfach nur da lag, Stunde um Stunde, bis Nadja endlich schlief.
     Als dies gegen halb eins der Fall war, hatte sie noch eine geraucht. Draußen.
    Sie ging ihren Eltern für den Rest des Abends aus dem Weg. Besser so, bevor wieder alles eskalierte. Sie waren ebenfalls beide noch wach, saßen in der Stube und redeten. Oder besser gesagt – ihr Vater redete und ihre Mutter machte „Mh“ oder „Ja“, und wenn sie gerade den Mut aufbrachte, zur Abwechslung mal einen vollständigen Satz zu sprechen, dann redete ihr Vater dazwischen. Und so ging das schon seit Jahren. Wenn sie ehrlich war, war es nie anders. Ihr Vater hatte immer das Wort und ihre Mutter wagte es nicht, etwas dagegen zu sagen. Aber das war nicht ihre Baustelle. Sie wollte sich von einem Mann nicht so unterdrücken lassen und das würde auch nie passieren.
     
    Sie hatte die Tür hinter sich geschlossen und sich dann wieder hingelegt. Neben Nadja.
     Es tat gut, ihr regelmäßiges Atmen zu spüren. Irgendwann fing Nadja dann an, wild zu träumen. Sie stöhnte im Schlaf und wachte auf. Sie weinte und sagte, „Mamaa, David ist tot. Die haben David umgebracht. Solche Leute. In Hütten.“ Sie beruhigte ihr Mädchen.
     „Schhht, es ist alles gut mein Schatz. Es ist alles in Ordnung. Du hast nur böse geträumt. Es ist alles gut, hörst du?“ Langsam legte sich ihre Schnappatmung wieder und sie schlief ein. Das war jetzt ungefähr zwei Stunden her. Sie lag ganz friedlich da und schlief.
    Wenigstens sie schläft , dachte Mareike. Ihre Gedanken fanden keine Ruhe. Sie sah immer wieder David vor sich. Wie er radelte. Und sie fragte sich, was ihn da bloß geritten hatte. Wie konnte er bloß so verrückt sein. Normalerweise fuhr er nie auch nur 100 Meter mit dem Fahrrad, und nun… „Er ist bis zur Autobahn gefahren und dort per Anhalter weiter“ hieß es. Das war unfassbar. Es war einfach nicht zu glauben und Mareike bekam es partout nicht in ihren Kopf.
    Zu wem war er bloß ins Auto gestiegen?
    Sie sah unzählige, grimmig dreinschauende Gesichter vor sich. Lastwagenfahrer zum Beispiel, die ihren heimlichen Schwulentrieb an ihm auslebten und ihn einfach in den Wald warfen, als sie mit ihm fertig waren… Doch das war der nächste Punkt! Der Wald. Dort hatte man Davids Handy gefunden. In unmittelbarer Nähe wurde ein Polizist erschossen… Das ging alles gar nicht. Es war zu unfassbar, dass ihr eigener Sohn in so etwas rein geraten war.
    Sie stand auf und trat ans Fenster heran. Früher war dies hier ihr Zimmer gewesen und sie hatte hier mit ihrer damaligen Freundin Carola Gut gestanden, und mit ihr ihren gemeinsamen Schwarm beobachtet, der direkt im Nachbarhaus wohnte. Freddy war sein Name. Er war schon 25 und sie gerade mal 13 und 14. Freddy war einfach zuckersüß. Mareike erinnerte sich, wie sie Carola gegenüber einmal behauptete, Freddy „oben ohne“ gesehen zu haben und dass er wirklich unheimliche viele Muckis am Körper hatte. Überhaupt gab es zwischen ihnen immer einen internen Wettkampf. Sie zogen sich die schönsten Klamotten an, die ihre Kleiderschränke hergaben, und warteten, bis Freddy entweder von der Arbeit kam oder seine Wohnung verließ. Und dann sollte er sie irgendwo rum stehen oder sitzen sehen. Wenn er sie schon nicht an sprach , sollte er sie wenigstens an sehen . Und das tat Freddy auch. Und vor allen Dingen lächelte er dann immer. Mareike behauptete, er sähe sie länger an, während Carola selbiges von sich behauptete. Einmal hatten sie sich deswegen sogar richtig in den Haaren. Letztendlich zog Freddy eines Tages einfach fort. Heute war Mareike klar, das er höchstwahrscheinlich wirklich immer Carola angesehen hatte und nicht sie. Carola war schlanker und viel hübscher, ohne Frage. Wenn Freddy überhaupt auf eine von ihnen achtete, immerhin war er doch bedeutend älter.

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