Per Anhalter (German Edition)
verträumt zur Glaskuppel hinauf, durch die man einen makellos blauen Himmel erkennen konnte. Ohne auf das Tablett zu schauen, nahm er sich eine kaffeegetränkte Weintraube vom Tablett und steckte sie sich in seinen lächelnden Mund. Mario starrte ihn wie gebannt an. Der Mann machte ihm eine Heidenangst. Und er machte ihn neidisch. Er fand ihn großartig und widerlich zugleich. Er war einfach unglaublich dieser Gustav.
„Der Alte hat jedenfalls gezahlt. Und das nickt zu knapp. Und er hat es verdient.“,
„Was hast du mit ihm gemacht?“ fragte Mario neugierig, als Gustav verträumt gen Himmel schaute.
„Wie?“,
„Na, wie hast du ihn zahlen lassen ?“,
„Ick hab ihm aufgefressen!“ Ein unwirklicher Moment der Stille.
„Du hast was ?“ Gustav konnte nicht mehr an sich halten. Er prustete wieder los vor lachen.
„Du glaubst auck jeder Schjeiß den man erzählt, was? Nein, hab ick natürlich nickt getan. Hast Angst bekommen, oder?“ Mario sagte nichts dazu. Faktisch traute er Gustav das mittlerweile unbesehen zu.
„Ick fress nix was gelbe Leber hat, Freund. Das habt die Hunde för mick gemacht.“ Er lachte schief und flötete
„Happa, Happa der Papa. Die hatten vorher zwei Wochen nix gefüttert. Die habt dann großen Hunger. Auf alles!“
Mario dachte in diesem Augenblick an Hassan. Und an den Tag, als dieser Junge, dessen Namen er nicht mehr wusste, versucht hatte abzuhauen. Hassan war damals schon ein ganzer Kerl... Die Knochen des Jungen durchkaute er wie einen leckeren Snack für zwischendurch. Ein einmaliges Geräusch. Aber er hatte den Jungen nicht gefressen. Wenn er zuvor jedoch 14 Tage kein Futter bekommen hätte...
Er brauchte mehr Informationen. Denn er bekam es plötzlich mit der Angst.
„Und... Hast du die Hunde noch?“ Gustav schenkte sich Kaffee nach, sah ihn an und schnaubte dabei kichernd.
„Du habt Schjiss , ick mack das auck mit dir , hm?! Draußen sind der Köter. In ein Stall für Hunde. Schöne Tiere. Dreißig Stück!“,
„ Dreißig ?“ wiederholte Mario völlig entrüstet. Es war jetzt höchste Zeit dass er sich Gustav gegenüber extrem zurückhielt. Einer Meute von dreißig blutrünstigen Hunden war kein Mensch gewachsen. Wahrscheinlich noch nicht einmal „Big-Gustav“ persönlich.
„Ick hab ihn Stücken für Stücken verfüttert. Erst ein Arm, dann ein Bein. Ein Ohr... Und er hat zugesehen. Der Rest war erst ganz zum Schluss an die Reihe. Meine Güte hat der immer geflehen und geweint du… Aber ick hab es ihn gegönnt von all meine ganzen Herzen!“
Bei den letzten Worten wanderte Gustavs noch immer mit Ei verschmierte Hand unter der Decke über seinen Bauch. Mario ließ es zu.
„Wenn du will, zeig ick dir meine Köter.“ Mario rang sich ein Lächeln ab. Er war nicht scharf darauf, die Tiere zu sehen. Er war ganz verkrampft vor ängstlicher Verwirrung und fühlte sich auf einmal wie ein kleiner Junge, bei dem mitten in der Nacht der Herr Vater ins Bett gekrochen kam.
„Du kann mir auck deine Geschickten erzählen“ hauchte Gustav und seine Hand zwirbelte seinen Nippel.
„Was iss? Bist du so still auf mal!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, bearbeitete der Dicke seinen Hals mit seinem nassen Zungenlappen, fuhr damit über sein Gesicht und gab ein dezentes Stöhnen von sich.
In den Zeitungen nennen sie sowas: „Er hat sich an ihm vergangen“ grübelte Mario.
Und er grübelte über noch sehr viel mehr als das. Vor allen Dingen über die Zahl dreißig .
Er stellte sich einen exorbitant großen Zwinger vor, in dem die Hunde sich befanden. Riesig, und dennoch nicht groß genug für dreißig Hunde. Es würde auf abartigste Weise nach Scheiße stinken, ihr Fell würde scheckig, ungepflegt und zerrupft sein. Geifernd und knurrend vor hungriger Fleischesgier würden sie an den Zaun getrottet kommen. Selbst der Anführer, das Alphatier unter ihnen, ausgezehrt von Hitze, Parasiten und berstendem Hunger, wankte nur noch und hoffte verzweifelt auf Nahrung.
Und dann stehe ich plötzlich mit Gustav vor dem Zwinger. Und er gibt ihnen ein Zeichen. „Es wird was geben, Freunde. Schon bald!“ Er sagt es nicht, er gibt ihnen ein Zeichen. Ein Zeichen so wie damals, als er seinen Vater an sie verfüttert hat. Und während er mir meinen Nacken massiert flüstert er: „Wollen wir Sie Happa Happa geben?“ und beginnt zu lachen.
Reflexartig schaute Mario Gustav direkt in die Augen. Woran denkt dieser Mann bloß? Jetzt gerade? Woran denkt er? Gustav lag
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