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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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haben soll. Und…“ Er fing auf einmal an zu stocken. Denn jetzt sah er, woher das Stöhnen rührte. Seine Nackenhaare stellten sich auf und er musste die Luft anhalten. Zwar waren es nur Umrisse die er erkannte, doch die waren klar und deutlich genug. Nur wenige Meter von der Veranda entfernt, robbte eine schwer verletzte Person durch das Gras. Sie schleppte sich vorwärts. Und sie stöhnte… und röchelte… „Waaa“. Das war nicht gespielt, auf gar keinen Fall. „Waaa“ machte sie wieder.
    Lolles Gliedmaßen zuckten und er säuselte nur ein leises „Amen!“ vor sich hin, um seine gefalteten Hände zu lösen und sich durch sein Haar zu fahren.
    Eine innere Stimme versuchte sich zu Wort zu melden und ihm zu sagen, wer das da im Gras war. Im Grunde wusste er es gleich im ersten Moment, doch er schob die innere Stimme von sich, so wie  man einen unliebsamen Werbeanruf abwimmelt, indem man einfach den Hörer auflegt. Er wollte es nicht… Außerdem: Was, wenn es nur eine Finte war? Wenn die Person gar nicht verletzt war… Wenn es sich nicht um den entführten Jungen handelte… Sondern um Mario oder Uwe, die ihm eine Falle stellten, die um Hilfe heuchelten um ihn anzulocken und dann… Ein markerschütterndes Stöhnen… Ein Weinen… Ein Röcheln. Ein Röcheln, wie man es unmöglich schauspielern konnte. Ein Röcheln und ein Würgen, dem ein ganz grässliches Wimmern folgte. Eine Abfolge von Geräuschen, die mit einem Mal eine tief in ihm vergrabende Kindheitserinnerung zu Tage förderte, die ihn dazu veranlasste, an seinen Nägeln zu kauen und fast zu verzweifeln. Die Erinnerung an jenen knallig heißen Tag im Sommer, der Beginn der Sommerferien, der Tag, an dem er mit seinem Freund Friedrich den Berg hinunter sauste. So wie sie immer den Berg hinunter sausten in die Friesenallee. Nur eben an diesem Tag ein bisschen schneller, ein bisschen euphorischer als üblich.
    Friedrich war sogar so euphorisch, dass er ihn abhängte.
    „Sommer-fee-ri-eeen!“ rief er immer wieder. Dieses Rufen war noch so erschütternd klar in seinem Kopf, obwohl er seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten schon nicht mehr daran zurückgedacht hatte. Es war nicht weg, es war nur vergraben. Und in diesem Augenblick konnte Lolle sogar den Geruch der frisch gewaschenen Wäsche auf den Leinen im Vorgarten riechen… und den Duft der Sommersonne… Und das Gefühl spüren dass man als Kind hat, wenn einem die Freiheit winkt. Dieses Glücksgefühl das plötzlich da ist und von dem man annimmt, dass es nie mehr enden wird.
    Die Bilder kamen nur durch das Röcheln mit so deutlicher Klarheit in ihm hoch, als erlebte er all das noch einmal. Ein Film aus längst vergangener Zeit, nicht in schwarzweiß und nicht mit dem bunten Staub der Verklärung übertüncht.
     
    Steil bergab ging die Friesenalle, in der Friedrich wohnte,  und wo seine Mutter, wie jeden Tag, an der Gartenpforte stand, von der aus sie manchmal schimpfte, sie wolle nicht, dass sie so schnell fuhren.
    Sie war eine herzensgute Frau mit viel Humor, die einem eigentlich nie etwas übel nahm und die die beste Leber mit Reis und Apfelmus auf dem ganzen Planeten zubereiten konnte.
    Friedrich lachte. Und er blickte über die Schulter zurück. Und auch er selbst lachte und spürte den Fahrtwind in seinen Haaren.
    Sein Ziel war: Ihn einholen! Und er trat in die Pedalen.
    Wieder blickte Friedrich zurück und sah was er vor hatte, woraufhin er noch heftiger kicherte und seinerseits in die Pedalen trat. So heftig, dass es fast schon hysterisch aussah, in jedem Fall aber kindisch.
    So konnten nur Kinder lachen und sich bewegen und sich freuen.
    Und dann passierte das, wovor Friedrichs Mutter immer Angst hatte.
    Und Friedrich bekam es zunächst gar nicht mit. Lolle schon!
    Und Lolle bremste, denn er sah den Kieslaster, der aus der Seitenstraße kam. Er sah den Kopf des Fahrers, der nach rechts und links schaute, jedoch nicht auf den Bürgersteig… Dann roch er plötzlich Diesel… Und er hörte ganz klar und deutlich den blockierenden Hinterreifen von Friedrichs Fahrrad… Und das fast wie eine Hupe klingende Geräusch der fassenden LKW-Bremsen. Jetzt hatte der Fahrer Friedrich bemerkt, und Friedrich den Laster. Ein winziger Filmriss: Lolle wusste nicht mehr, ob er Friedrich in diesem Moment etwas zugerufen hatte oder nicht. Doch der Film ging nahtlos in seiner gewaltigen Klarheit weiter… Er sah, wie er die Bremse betätigte und selbst kaum abbremste. Der Berg war so steil, und er

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