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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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musste mit den Füßen nachhelfen. Dies kam für Friedrich zu spät. Er betätigte zwar auch die Bremse, doch sein Fahrrad geriet ins Schlingern. Lolles Knabenherz hämmerte mit Übelkeit erregendem Tempo bis zum Hals. Es gelang ihm, das Fahrrad zum Stoppen zu bringen, während er sich darauf vorbereitete, dass Friedrich mit dem LKW kollidierte… Doch obwohl er die Kontrolle verloren hatte, passierte genau das nicht. Friedrichs Fahrrad bäumte sich auf und Friedrich versuchte verzweifelt abzuspringen, was erfolglos blieb.
    Es gab einen höllischen Knall. Es war das befremdlichste, unnatürlichste Geräusch, das er je im Leben gehört hatte… Friedrich war seitlich gegen eine Bank gekracht und dann – mit dem Kopf voran – gegen die dahinter stehende Laterne. Es war ein Knall der mindestens so laut war wie ein Silvesterkracher.
    Friedrich flog in hohem Bogen in die Hecke. Aber er war nicht in den Lastwagen gekracht. Das war das große Wunder. Denn damit hatte er fest gerechnet. Das Ganze war so knapp, dass es kaum möglich war, den Zusammenstoß zu vermeiden.
    Und jetzt? Jetzt war er halt in die Bank geknallt und mit dem Kopf gegen den Laternenpfahl… Doch das war ja harmlos . Harmlos, hatte er gedacht… Vollkommen harmlos im Vergleich zu dem, was noch hätte passieren können. Der LKW-Fahrer riss die Tür seines Vehikels auf und sprang heraus, während er selbst kichernder Weise auf Friedrich los rannte. Es sah irrsinnig spektakulär aus und er war einfach nur froh und erleichtert darüber, dass sein Kumpel nicht von diesen Ungetümen von LKW-Reifen zermalmt worden war. Doch als er dann bei seinem Freund ankam, und diesen regungslos in der Hecke sah, hörte er sofort auf zu lachen. Friedrichs Gesicht hatte morbider Weise eine frappierende Ähnlichkeit mit dem einer Comic-Figur, nachdem dieser genau dasselbe widerfahren war. Sein Gesicht war komplett eingedrückt. Einen eigenartigen Augenblick lang war er sich sicher, Friedrich, den alle nur Freddy nannten, verarschte ihn, denn seine Zunge hing ihm aus dem Mund (und sie sah ellenlang aus!!!) und er machte Geräusche, als äffte er einen Furz nach oder so. Doch als er die starren, roten Augen sah, gab es keinen Zweifel mehr daran, dass der arme Kerl nichts dafür konnte.
    Der Fahrer des Lastwagens war ein untersetzter Bär von einem Mann. Er stieß ihn zur Seite und stöhnte immer wieder „Ouh Scheiße. Ouh Scheiße“ vor sich hin. Freddys Mutter, Frau Erlenthal, konnte er ebenfalls noch klar und deutlich hören. Wie an jedem anderen Tag, hatte sie auch an diesem an der Gartenpforte darauf gewartet, dass ihr Sohn von der Schule nach Hause kam. „FRIEDERIIICH. FRIEDERIIICH!“ schrie sie und rannte in blinder Panik über die Straße, wo sie um ein Haar selbst von einem Auto erfasst wurde.
    Friedrich, der eben noch voller Freude den Berg hinunter gesaust war – wie an jedem anderen Tag, nur ein bisschen schneller eben – blutete jetzt bereits aus dem Mund und aus den Ohren. Von seiner Nase, oder dem was davon übrig war, mal ganz zu schweigen… Und Friedrich machte PFFFFFF, PFFFFF und seine Oberlippe vibrierte wenn er die Luft ausstieß. Dann hatte er sich abgewandt. Er konnte es nicht mit ansehen, wie Friedrichs Mutter ankam und den Fahrer des Kieslasters am Kragen packte und von ihrem Sohn fortzerrte.
    „FRIIIIEDRIIIICH!“ brüllte sie jetzt und weinte. Der Inhalt seiner ledernen Schultasche lag überall auf dem Gehweg verstreut. Hefte, Federtasche… und sein Zeugnis, auf dass er (völlig zurecht) so stolz war. Friedrich war ein Phänomen. Der Unterrichtsstoff schien ihm zuzufliegen, in den Schoß zu fallen und im Kopf sitzen zu bleiben. In dem Kopf, der jetzt nichts mehr weiter war als eine röchelnde, blutüberströmte Kugel, die von den Händen seiner Mutter gehalten wurde.
    Eine Oma stand da. Sie hatte ihren Hund dabei, einen Hackenbeißer. Obwohl es extrem warm war, trug sie einen dicken Mantel, das wusste er noch, und einen Hut, wie es sich für eine Dame gehörte. Sie sagte immerzu „Heieieieiei“ und schnalzte mit der Zunge…
     
    … Lolle driftete langsam wieder in die Wirklichkeit zurück. In die Wirklichkeit, die an einem nasskalten norddeutschen Abend auf der Veranda seiner Hütte stattfand. Es regnete im Moment nicht. Nur von den Zweigen der umliegenden Bäume prasselten Tropfen auf das Vordach der Veranda. Und der Junge (er ging davon aus dass es der Junge war) hatte zu Röcheln aufgehört… Genau wie Friedrich damals… Und Friedrich

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