Per Anhalter (German Edition)
tanzt dir auf der Nase rum und du lässt dir das auch noch bieten. Wenn das so weiter geht, ist er bald ein Sozialfall, bist du dir darüber im Klaren?“,
„Was soll ich denn da machen, Papa? Mehr als es ihm sagen kann ich nicht. Ich kann nicht den ganzen Tag hinter ihm stehen und gucken, ob er sich bewirbt. Das geht einfach nicht! Ich bin berufstätig, ich hab einen Haushalt, eine schulpflichtige Tochter und irgendwo dazwischen vielleicht auch mal ein Leben zu führen. Wenn er meint, dass er sich das so heraus nehmen kann, dann bitte. Ich hab ihm mehrmals gesagt, dass mit 18 hier Schluss ist wenn er sich nicht auf den Hosenboden setzt. Und ich bin allmählich an dem Punkt angelangt, wo ich das auch eiskalt umsetze. Wenn er dann nix hat, kann er ja mal seinen Vater um Rat bitten.“,
„Ja, du stellst dir das immer alles so einfach vor, Mareike, aber du musst dich ja auch mal kümmern und…“,
„ICH MUSS MICH KÜMMERN? Nein, Papa, oooh nein. David ist 16 und wenn ich mich recht erinnere, habe ich mich in dem Alter auch selbständig beworben und mich um meine Sachen gekümmert. Ganz allmählich ist mit der ganzen Kümmerei auch mal Schluss. Ich kann mir nicht einerseits von ihm in den Arsch treten lassen und ihm hinterher noch in den Arsch kriechen. Ne-ne, also da hört der Spaß auch mal auf, ganz ehrlich.“,
„Aber auch so wie das was du erzähltest mit gestern“ – er redete ohne Punkt und Komma weiter. Er war jetzt an den Punkt angekommen, wo er nicht mehr mit dem Kopf wackelte sondern beim Reden spuckte. Das war sozusagen Stufe II seines Zorns.
„Du kannst dir doch sowas nicht von ihm sagen lassen. Der macht doch was er will, Mensch. Dem hätt ich für solche Sprüche Hausarrest gegeben. Dem gehören mal die Hammelbeine lang gezogen. Schluss, aus, Ende!“,
„Ja, ich kann es jetzt aber auch nicht rückgängig machen, oder?“,
„Ne, aber vorher auch schon, Mareike. Vorher auch schon! Da ist doch dauernd was bei euch. Schon als das mit der Ausbildung war, hab ich zu dir gesagt, sei jetzt eiskalt. Nimm ihm seine Sachen weg, streich ihm seine Aktivitäten, tu dieses und tu jenes. Aber du hast ja auch nix gemacht, also beschwer dich nicht, wenn er auf dir herum trampelt.“
So, das war`s jetzt dachte sie.
Ihr Vater hatte es wieder einmal geschafft, sie soweit an die Wand zu reden, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Es passierte wirklich nur in sehr seltenen Ausnahmefällen, dass sie ein Telefonat durch simples Auflegen ganz ohne Verabschiedung beendete – dies hier war ein solcher Ausnahmefall.
Zum ersten Mal überhaupt würgte sie ihren Vater einfach ab.
Dann erst heulte sie los.
Die Blöße wollte sie sich heute nicht auch noch geben, und ihm nicht die Genugtuung verschaffen, es wieder einmal vollbracht zu haben, sie zum Weinen zu bringen.
Dieser Mann war unmöglich!
Sie fuhr mit dem Wegräumen ihrer Einkäufe fort. Wutschnaubend und verheult!
Ein zwei Kilo Netz mit Äpfeln riss auf und der Inhalt verteilte sich tanzend und zerplatzend auf dem Fußboden. „ICH KOTZ AB!!!“ schrie sie und trat einen der Äpfel gegen die Wand, wo er explodierte.
Gleich viermal hintereinander versuchte ihr Vater (vielleicht war es auch ihre Mutter, doch sie tippte eher auf ihren Vater) noch, sie zu erreichen, ehe er endlich aufgab.
Als sie mit dem Wegräumen fertig war, zündete sie sich eine Zigarette an und köpfte (obwohl die 20 Uhr-Marke noch eine Ewigkeit entfernt war) eine Flasche Sekt.
Heute war es ihr schlichtweg scheißegal. Sie brauchte jetzt ein Gläschen um runterzufahren. David hatte ihr den Rest gegeben und ihr Vater noch einmal schön kräftig nachgetreten. Vielen Dank auch, dachte sie, während sie, die Augen geschlossen, auf dem Sofa in der Stube saß und einen klaren Gedanken zu fassen versuchte. Vielen lieben Dank euch allen!
Gegen 16 Uhr kam Nadja mit ihrer Freundin Jessica in die Wohnung, um etwas zu trinken.
Sie war noch immer aufgelöst. Keine Trauer – es war reine Wut!
Sie fragte ihre Tochter, ob sie mit David gesprochen hätte, doch sie versicherte glaubhaft, dass kein Gespräch stattgefunden habe und sie auch nur den Zettel vorfand, als sie wach wurde.
Um halb fünf rissen die seidenen Fäden ihrer Nerven engültig und sie versuchte, David auf dem Handy zu erreichen.
Doch er meldete sich nicht.
Dreimal probierte sie es, dreimal hatte sie keinen Erfolg. Sie wollte ihn anschreien, ihm all ihre Wut ins Ohr brüllen, die weitreichendsten Sanktionen aller
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