Per Anhalter (German Edition)
Schulplatz mehr, schert sich nicht um Ordnung in seinem Kabuff… Was soll ich da machen? Ich komm mit diesem Kind nicht mehr klar. Ich schaff das nicht, Mutti. Ich hab die Kraft dafür nicht mehr.“ Mehr als ein verängstigtes, seufzendes „Ja“ kam nicht mehr von ihrer Mutter.
Aus dem Hintergrund dröhnte die tiefe Stimme ihres Vaters. Schon die ganze Zeit war er aus dem Hintergrund zu hören, als hätte ihre Mutter den Lautsprecher eingeschaltet, so dass er jedes Wort mithören konnte. „Papa wollte dich auch noch mal haben“ sagte sie schließlich. Sie war von der Idee gar nicht so angetan, aber es führte so oder so kein Weg dran vorbei, also ließ sie ihre Mutter den Hörer weiterreichen.
„Na?“ sagte er, und sie konnte bereits an der Art wie er atmete erkennen, dass er eins davor war, auszuflippen.
„Na!“,
„Was ist da nu wieder los bei Euch?“ Es war eine dumme Frage – er kannte die Antwort doch. „Dein lieber Herr Enkel mal wieder“ stichelte Mareike. Ihr Vater raunte:
„Dem wirst du doch wohl hoffentlich Kopp und Arsch in eine Richtung drehen!“
Sie wusste wie er beim Sprechen dieses Satzes aussah.
Er wippte den Kopf beim Meckern vor und zurück und nach rechts und nach links und seine Augen zuckten.
Warum das so war, wusste sie auch nicht.
Wahrscheinlich sah sie selbst auch in irgendeiner Weise blöd oder bescheuert aus beim Meckern. Wie jeder Mensch.
„Ja, darauf kannst du aber Gift nehmen!“,
„Was ist los? Er ist abgehauen oder was?“,
„Ja“ sagte sie – ganz trocken – „Er ist abgehauen!“ und dann erzählte sie auch ihm die Geschichte von ihrem Streit mit David am Vorabend. Und ihr Vater war – wie erwartet – richtig sauer!
„Also eins will ich dir mal sagen“ fluchte er, „Wenn das mein Junge wär, den hätt ich aber schon längst grün und blau geschlagen! Du darfst dir sowas nicht dauernd gefallen lassen. Wo sind wir denn hier?“
Ja, Papi, dachte sie und war in diesem Moment genau so genervt über ihren Vater wie wütend auf David. Sie hatte das Gefühl, je älter ihr Vater wurde, desto unzufriedener war er mit sich selbst. Zeit seines Lebens hatte er als Maler gearbeitet (in einem und demselben Betrieb wie er gern betonte).
Seit er vor sechs Jahren an Blasenkrebs erkrankt war und vorzeitig in den Ruhestand geschickt wurde, lud er seinen Frust nicht mehr an den Auszubildenden oder den Junggesellen im Betrieb ab, sondern mit wachsender Begeisterung an ihr – seinem eigenen Kind.
Dies ist verkehrt, das ist nicht richtig, so geht das nicht, so läuft das falsch… All das waren beliebte Sprüche von ihm. Ihr kam es vor, als wäre sie in den Augen ihres Vaters eine dumme kleine Göre. Als sie ihm mitteilte, dass David seinen Ausbildungsplatz verloren hatte, erlebte sie die Hölle auf Erden. Sie bekam Vorwürfe von ihrem Vater zu hören, die klangen, als ob sie selbst die Schuldige an der Sache wäre und nicht David. Der O-Ton lautete, dass der Junge ein kompletter Versager sei und sie im Grunde diejenige war, die das durch ihre inkonsequenten Erziehungsmethoden zu verantworten hatte. Getreu dem Motto: Hätte der Junge ab und zu mal einen Satz heiße Ohren bekommen, wäre all das nicht passiert. Es ging ihr so dermaßen auf den Keks, ständig Vorwürfe von ihm zu bekommen, dass sie sich manchmal wochenlang nicht bei ihren Eltern meldete, aus Angst, wieder auf ihr komplettes Versagen aufmerksam gemacht zu werden.
„Wie ist er denn da hingekommen? Mit dem Fahrrad, oder was? Oder hat er dir auch noch Geld geklaut und ist mit dem Zug gefahren?“,
„Ich weiß es nicht!“ entgegnete sie ihm mit garstiger Stimme. Inzwischen hatte sie sich angewöhnt, ihrem Vater zumindest auf die Art ein bisschen Paroli zu bieten. Er sollte ruhig merken, wie anstrengend er mitunter war, das schadete ihm nicht. Dumm nur, dass diesmal gleich die nächste Maßregelung folgte:
„Wieso weißt du das nicht? Das wäre ja das erste, was ich herausgefunden hätte, glaubst du das?!“,
„Ja, ich hab`s aber noch nicht herausgefunden. Tut mir leid, ehrlich, ich bin gerade eben von der Arbeit nach Hause gekommen, hatte noch nicht mal Zeit mich hinzusetzen und finde diesen Zettel. Ich muss das selbst erstmal verarbeiten.“
Ihr Vater schien ihr gar nicht zugehört zu haben. Er tobte ohne umgehend weiter:
„Dieser Junge müsste normaler Weise von morgens bis abends Bewerbungen schreiben. Von morgens bis abends, Mareike. Hast du dich da mal drum gekümmert? Der
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