Per Anhalter (German Edition)
„Nach `ner Adresse von Lena, vielleicht. Oder nach ihrer Handynummer.“ Sie schaute ihrer Tochter in die Augen.
„Wenn er nicht an sein Telefon geht, dann vielleicht sie. Oder am besten noch ihre Eltern. Wenn ich ihre Eltern dran hab, dann werde ich ihnen sagen, sie sollen David unverzüglich nach Hause schicken. Meinetwegen mit der Polizei. Ich bin schwerstens gepestet… Aber ich finde hier nichts. Hat er dir die Nummer mal gegeben?“,
„Von Lena ?“,
„Ja.“,
„Neee. Wieso sollte er ?“,
„Ich weiß es nicht“ fuhr sie ihre Tochter an, „Meine Güte noch mal, woher soll ich denn das wissen? Ich kotz hier ab.“ Sie holte einen Discman aus dem Bettkasten und hielt ihn hoch. Der Deckel war abgebrochen, das Teil damit höchstwahrscheinlich unbrauchbar. „Hier“ sagte sie, „Kennst du den noch? ´Mama, ich will unbedingt `n Discman haben, meiner ist kaputt`. Das war zu Weihnachten. Ein knappes halbes Jahr ist das jetzt her. Soviel denn zu dem Thema. Er schert sich einen Dreck um alles. Das Ding war schweineteuer und er weiß ganz genau, dass ich nicht viel Geld habe und dass es mir schwer genug fällt, euch das zu ermöglichen. Und so geht er dann damit um. Verstehst du was ich meine? Diese Respektlosigkeit !“,
„Na, und? Sind doch seine Sachen und sein Pech wenn der kaputt geht.“,
„Darum geht es nicht , Schatz. Mir geht es darum, wie David sich verhält. Dein Bruder ist 16 Jahre alt, hat keine Ausbildung , keinen Plan von nichts, benimmt sich hier als ob er der König ist und jetzt verpisst er sich auch noch einfach.“ Sie hielt inne und schaute ihrem Mädchen lange in die großen braunen Augen. Nadja hatte einen beneidenswerten Teint. Wofür andere stundenlang teure Solarien buchten, Bräunungscreme anwandten oder sich tagelang der prallen Sonne aussetzten, schien sie nur einen Fuß vor die Tür setzen zu müssen um eine Bräune zu erhalten, gegen die jedes Brötchen blass wie Weißkäse aussah. Das hatte sie definitiv von ihrem Vater. Der brauchte auch nur das Wort „Sonne“ auszusprechen und war braun wie ein Latino.
„Trotzdem brauchst du nicht gleich seine ganzen Sachen zu durchsuchen“ meinte Nadja, „Du hast mal zu mir gesagt, das würdest du niemals machen. Genauso wenig wie wir an deine Sachen gehen, gehst du an unsere. Das hast du echt selber gesagt , Mama.“,
„Das tue ich auch nicht, ganz ehrlich. Du kannst mir glauben, wenn ich das tun würde, würde es in Euren Zimmern so nicht aussehen. Oder hast du in meinem Schlafzimmer schon mal gesehen, dass alles irgendwo reingestopft ist und überall herum liegt.“,
„Nee, aber…“,
„David ist einfach abgehauen. Er ist noch keine 18. Und ich , mein Schatz, ich habe die Verantwortung für ihn. Auch wenn er vielleicht denkt, dass dem nicht so ist. Ich bin dafür verantwortlich, wo ihr hingeht, was ihr macht und mit wem ihr euch abgebt. Wenn er 18 wäre, wäre das alles gar kein Problem. Aber David ist Minderjährig, genau wie du. Und ich habe ihm nicht erlaubt, seine Freundin in Flensburg zu besuchen. Ich spionier ihn nicht aus, sondern ich suche nach einem Anhaltspunkt, wie ich ihn wieder hierher zurück bekomme. Wie gesagt, er geht nicht an sein Handy, hat uns keine Adresse hinterlassen, wo wir ihn finden können, sein PC ist abgeschlossen hätt ich fast gesagt, oder mit `nem Passwort codiert. Was soll ich denn machen? Soll ich sagen: Dann ist das eben so. Dann ist er halt weg. Ist mir doch egal. Und wenn die Polizei dann irgendwann vor der Tür steht, soll ich dann sagen, dass er schon seit dann und dann weg ist und mir das total egal war? Ich bin stinksauer auf ihn, ich habe die Verantwortung für ihn und mir ist es scheißegal ob ich seine Sachen durchwühlen muss oder nicht. Er soll mal merken wie es ist. Wie du mir – so ich dir. Das hat deine Oma schon immer zu mir gesagt. Wenn er sich wie das letzte Arschloch verhält, dann muss er eben damit rechnen, dass ich mich ihm gegenüber auch wie ein Arschloch benehme, das ist eben so. Und du holst jetzt bitte mal die Pizza aus dem Ofen, ich hab nämlich Hunger.“,
„Trotzdem find ich das nicht in Ordnung.“,
„Nadja…“,
„Er ist doch nur bei Lena!“ keifte sie, „Man, er liebt sie eben. Und wenn du so mies bist und ihm sagst, ich bezahl das Zugticket und dann, wenn er es einlösen will, sagst du iss nich? Da wärst du doch wohl auch sauer, oder nicht? Er kommt schon wieder!“,
„Nadja, hör mal, darum geht es nicht . Versteh das doch endlich!
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