Per Anhalter (German Edition)
sein Hinterteil, und zwar auf die Art, auf die es einem üblicherweise ziemlich wehtut, nämlich voll aufs Steißbein.
Sie bekam einen seiner Füße zu fassen ehe er es schaffte, sich wieder aufzurappeln. Ein kleiner schwarzer Indianerfuß. Dann schleifte sie ihn hinter sich her.
Verzweifelt versuchte er sich mit Tritten zu befreien und traf sie am Schienbein. Da war es mit ihrer Geduld vorbei! Sie scheuerte ihm eine, hielt ihm den Mund zu und schleppte ihn auf dem Arm vor sich her bis zum Auto. So war das… So und nicht anders!
Niemand hatte es mitbekommen. Keine Menschenseele nahm auch nur die leiseste Notiz.
Alles, was von ihm zurückblieb, waren seine Sandalen, die neben der Sandkiste standen, sowie der Stock mit dem er gespielt hatte.
Es war ein Rauschzustand, nicht nur für sie.
Uwe, Mario und auch Lasse waren beeindruckt davon, als sie zum See zurückkehrte, ihnen von dem Jungen erzählte und mitteilte, dass sie so schnell wie möglich von hier verschwinden mussten.
Widerspruchslos packten sie ihre Sachen zusammen.
Damals schliefen sie noch alle zusammen in Uwes altem Wohnwagen. Eigentlich, wenn sie heute so daran zurückdachte, war es eine schöne Zeit gewesen… Damals, als alles begonnen hatte. Dieser Tag war einer der ganz wenigen, an denen auch Mario sein Wort hielt. Er sagte, dass sie jetzt mehr Platz bräuchten, da die Familie jetzt immer größer würde.
„Wir kaufen uns einfach selbst auch einen Wohnwagen“ verkündete er. „Und Uwe und ich bauen für den kleinen Mann ein schönes Einzelzimmer. Oder Uwe?“ Und genau das taten sie und zwar noch am selben Abend. Sie waren von Travemünde in den Harz gefahren. Das war Uwes Idee gewesen. Er sagte, dort gäbe es mehr ruhige Orte als Sand am Meer. Das Gleiche pflegte er auch über Schweden zu sagen. Und er hatte Recht!
Sie war überwältigt davon, wie begeistert sie alle auf den Familienzuwachs reagiert hatten, wie sehr sie sie unterstützten und wie sie alle zusammen diesen eigenartigen Rauschzustand geteilt hatten. Alle außer Sonja natürlich… Aber die war ohnehin außen vor.
Lasse wiederum bekam das Grinsen überhaupt nicht mehr vom Gesicht an jenem Tag. Wenn man es ganz genau nahm, war er ja sogar das erste Kind, welches sie sich unter den Nagel riss (auch wenn sie es etwas anders interpretierte als auf diese derbe Art!).
Allerdings war es bei Lasse mehr eine Art, nun ja, Freundschaftsdienst gewesen. Die Zustände, in denen er aufwuchs, waren katastrophal gewesen. Seine Mutter war schwerstens gestört. Sie hörte Stimmen die bereits anfingen sie fernzusteuern, litt an Hospitalismus und war Alkoholikerin. Sie war die Tochter eines Freundes von Opa Klaus. Von einem der vielen so genannten „Freunde“. Dieser Freund war ein sehr hochrangiges Mitglied in der Teufelssekte, in der sie einen Großteil ihrer Kindheit aufwuchs. Die Sekte war nicht nur ein Verein, den man ein bis zweimal die Woche aufsuchte so wie etwa den Fußballclub oder den Kegelverein. Die Sekte verfolgte einen bis nach Hause. Sie war überall. Aktiv und passiv!
Nicole (Lasses Mutter) hatte sich nie davon erholt. Wahrscheinlich war sie dadurch, dass sie bereits als Säugling Opfer des rituellen Missbrauchs war, auch noch um einiges schwerer davon gekennzeichnet als sie selbst.
Bei ihr reichte manchmal schon die Nuance eines Geruches aus der Kindheit oder ein einziges falsches Wort, um sie zu „triggern“, wie es so schön heißt.
Für Lasse war es daher wohl das Beste, dass er aus den Fängen dieser schlimm geschädigten Frau befreit worden war.
Das war bei Michael (das war der Name des kleinen Jungen) natürlich etwas ganz anderes. Er hatte fürsorgliche, liebende Eltern. Das sah man schon an seiner Kleidung und am Schnitt seiner Haare. Man sah es an dem guten Allgemeinzustand, in dem er sich befand.
Ihn zu entführen war eine haarsträubende Geschichte, denn seine Mutter würde sich nicht die Flasche an den Hals führen und sich vor Kummer halb tot saufen. Man würde nach ihm suchen. Tag und Nacht. Seine Eltern würden verzweifelte Aufrufe nach ihm starten und es konnte Leute geben, die sich im Zuge dessen plötzlich an den roten Volvo erinnerten… und an die Frau…
Sie stand hier natürlich unter einem ganz anderen Druck, gar keine Frage!
Doch es war genau dieser Druck, der den ganzen Wahnsinn erst komplett machte und den verstörenden Rausch noch intensivierte.
Genau wie die unbegreiflich große Angst in Michaels Augen.
Macht! Es war der
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