Per Anhalter (German Edition)
umso mehr Träume ausspuckte. Bei ihm blieb es immer beim Reden. Das einzige, was er je mit ihr durchgezogen hatte, war der Banküberfall. Und selbst da war es eher Uwe gewesen, der das Gro der Arbeit erledigte, der den genauen Dienstbeginn der Bankangestellten ermittelte, der sich unter falschem Namen ein Schließfach organisierte um die tieferen Gegebenheiten innerhalb des Gebäudes zu erforschen, der Kontakt mit gewissen Leuten aufbaute, die Waffen besorgen konnten und, und, und. Genau genommen hätte Uwe den Großteil des Geldes verdient. Doch er hatte nie irgendwelche Ansprüche gestellt. Wahrscheinlich war er auch der einzige, der das Leben in vollen Zügen genoss. Ein unglaublich anpassungsfähiger, ruhiger Mensch! Schon damals, wenn Mario am Lagerfeuer von seinen tollkühnen Träumen erzählte, und sie ihn anhimmelte, baute Uwe sich einfach einen Joint und briet sich sein Gehirn damit durch.
Auf die Art schaltete er ab und nahm gar nicht mehr an den Gesprächen teil, respektive er saß dann irgendwann da und grinste über Marios kuriose Träumereien.
Wahrscheinlich hat er immer gewusst, dass Mario ein großkotziger Redner ist .
Ein einziges Mal, als Mario bereits schlief, hatte er sie zur Seite genommen und versucht sie zu belehren. Sie hatte es dummerweise eher so aufgefasst, als wolle er sie nach dem Motto angraben, dass er doch der viel geilere von beiden sei und sie doch lieber mit ihm in die Kiste hüpfen solle. Erst Jahre später merkte sie, dass dem nicht so war. Zwar hätte Uwe sie ganz sicher auch nicht von der Bettkante gestoßen, doch sein primäres Ziel war ein offenes Gespräch unter vier Augen gewesen. Er hatte sie davor warnen wollen, dass 90 Prozent von dem, was Mario sagte, reines Wischi-Waschi-Gelaber war. Und das hatte er seinem alten Kumpel gegenüber vermutlich nicht einmal böse gemeint. Er kannte ihn schlichtweg lange genug und merkte ganz einfach, wie sehr er sie mit seinem Gerede von der goldenen Zukunft in seinen Bann ziehen konnte.
Wer weiß, wenn sie früher auf ihn gehört hätte, wäre womöglich alles ganz anders gekommen.
Vielleicht säße ich dann auch nicht im Knast dachte sie voller Zorn über sich selbst.
Die Zeit verging, und immer deutlicher kristallisierte sich heraus, in was für Luftschlössern Mario lebte. Es dauerte nicht lange, bis sie in ihm nicht einmal mehr den großen starken Beschützer sah. Selbst in dieser Hinsicht hatte er ihr in Wahrheit nur etwas vorgemacht.
Er war auf ganzer Linie ein Versager und von ständigen Selbstzweifeln geplagt.
Sie brauchte nur mit den Fingern zu schnippen und er lag ihr zu Füßen. Anstatt sich von ihm leiten zu lassen, leitete allein sie. Es war unfassbar wie viele Arschtritte nötig waren, um Mario überhaupt zu irgendetwas zu mobilisieren. Und was tat er? Er träumte weiter seine lächerlichen Träume. Und das einzige was er verteidigte war sein beschissener Alkohol.
Wenn sie sich stritten schwang er große Reden. Sie solle sich gedulden, müsse lernen abzuwarten. Wir haben doch alle Zeit der Welt, Baby war einer seiner Lieblingssprüche.
Am Anfang scheute sie vor Streit mit ihm zurück, weil er dann immer sehr ausfallend und latent aggressiv wurde. Und es war ziemlich beängstigend, wenn ein so großer, muskulöser Mann laut wurde. Doch selbst das machte ihr eines Tages keine Angst mehr.
In den letzten Jahren hatte sie Mario fast schon als eine Art Bediensteten gesehen. Er war ein Roboter. Zwar schluckte er nicht jeden Befehl ohne Murren, setzte aber dennoch alles um.
Genau genommen war er ohne sie gar nicht lebensfähig! Sie fragte sich, wie er vorher überhaupt so lange allein hatte überleben können…
… Das erste Kind war ein Junge. Es war Sommer und sie waren an einem See in der Nähe von Travemünde. Wie alt der Knirps genau war wusste sie bis heute nicht…
Mario, Uwe und Lasse lagen am See, während sie mit Sonja unterwegs gewesen war zum Einkaufen. Nur wenige hundert Meter vom Parkplatz des Sees entfernt, spielte der Junge auf einem Spielplatz.
Er war ganz allein.
Ein hübscher kleiner Kerl mit dunklen Haaren. Er trug ein T-Shirt mit Donald Duck drauf und eine blaue Shorts.
Er hatte einen Stock in der Hand und fuchtelte damit vor sich herum wie mit einem Schwert.
Sie verlangsamte das Tempo.
Der aufgeweckte kleine Kerl zog sie wie magisch in den Bann, einfach so.
Damals fuhr sie einen roten Volvo Kombi (es war lange bevor sie Lolle kennenlernte).
Sie erinnerte sich noch haargenau an
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