Per Anhalter (German Edition)
beinahe an ein Wunder grenzte, denn ihn bekam man so schnell eigentlich nicht aufgeweckt.
„Was ist? Was schreist du hier so rum?“ maulte er mit wehender Banane hinter dem Holzverschlag stehend.
„Der Junge ist weg!“ keifte sie zurück. Da wurde Mario aber mobil. Es war ja nicht nur eine bodenlose Frechheit von dem Bengel, sondern obendrein auch eine große Gefahr für sie. Wäre er entkommen, dann hätte dies Konsequenzen von unermesslichen Ausmaßen haben können. Aber er entkam nicht. Das musste sie Mario zugute halten. Er reagierte sofort, indem er seinen Hund heran pfiff. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt eine tiefe Abneigung gegen Hassan gehabt. Er machte ihr Angst. Er war groß und latent aggressiv, auch ihr gegenüber! Er ließ sich nur von Mario etwas sagen. Das klappte dafür aber umso besser. Hassan konnte rennen wie nichts Gutes.
Als Mario „FASS“ schrie, stürmte der Hund los als ginge es um sein Leben.
Sie hatte nie begriffen, wie der blöde Hund seinen Auftrag so schnell verstanden hatte, aber es dauerte wirklich keine Minute, da hörte sie die kläglichen Laute von Michael. Er schrie wie am Spieß. Mario pfiff und Hassan ließ von Michael ab und lugte zwischen den Bäumen hervor.
„Siehste, da hat er ihn ja schon, den kleinen Ausreißer “, sagte Mario mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, während er sich lässig eine Jogginghose anzog.
Oh, er war ein so gewiefter kleiner Lausebengel! So gewieft…
„Ich wollte nur Kacken, Mama. Wirklich! Ich wollte nicht weglaufen! Mama! Mamaaa!“
Das war ein netter Versuch, nicht wahr?!
„Mama? Ich versprech es dir! Und dir auch Papa! Ich wollte nur nicht da drinnen wieder kacken weil das sooo stinkt. Ich schwöre es!!! Indianerehrenwo…“ Sie packte die heuchlerische Rotznase am Hals, schleuderte ihn zu Boden. Mario machte ein ganz entzücktes, erwartungsfrohes Gesicht und hielt Hassan bei sich, der feindselig die Zähne fletschte und voll innbrünstigem Zorn knurrte.
Er landete auf dem Bauch. Sie packte ihn im Nacken. Wieder und wieder hämmerte sie seinen blondhaarigen Schädel auf den Boden. Es war, als hätte sie sich einen Cocktail aus verschiedenen Pillen zusammengemischt, so besessen war sie vor Enttäuschung und Wut. Er musste kaputt gemacht, zerstört, eliminiert werden. Dieser abtrünnige Verräter! Sie alle, ausnahmslos ALLE waren Verräter. Undankbares Pack! Das sollte sie in den kommenden Jahren feststellen. Denn keines der Kinder huldigte ihre liebevollen Absichten. Nein, sie traten sie mit Füßen, alle miteinander...
Michael starb unter ihrer Hand. Seine Augen waren um das Doppelte vergrößert und drohten aus den Höhlen zu flutschen wie Eier aus einer Henne, die Zunge hing schlaff aus seinem Mund. Alles war voll Blut und abgebrochenen Milchzähnen. Kurz bevor er aufhörte zu atmen, flossen blutige Tränen aus seinen aufgequollenen Augen. Der letzte Atemzug klang, als würde er anfangen ein Liedchen zu summen. Dann war es vorbei. Einfach so. Sie legte den kleinen Kopf in die aufgeweichte Erde. Es regnete jetzt sehr heftig.
Sie stand andächtig auf.
„Mach ihn weg“ sagte sie zu Mario, der guckte, als hätte er soeben nach jahrelanger intensiver Suche den Sinn des Lebens entdeckt. Fasziniert, geplättet... Ja, beeindruckt.
„Wie du es machst, ist mir egal. Aber mach ihn weg!“ Sie hatte Mario nie danach gefragt, wie oder wo er Michael entsorgt hatte. In dieser Hinsicht vertraute sie ihm einfach blind. Er war viel zu ängstlich, um dabei ungenau vorzugehen. Er hatte schon Sorge dafür getragen, dass niemand so schnell dieses Kind finden konnte. Als Mario wieder kam, hockte sie gerade mit einer Tasse Kaffee in der offenen Tür des nagelneuen Wohnwagens. Er war ganz schwarz von der Erde, genau wie sein Hund, und grinste wieder, beziehungsweise immer noch, über beide Backen.
„Du Irre“, sagte er nur und kam mit erhobenen Augenbrauen auf sie zu. Er küsste sie, legte seine schmutzigen Hände an ihren Hals. Dann küsste er sie wieder. Und noch einmal. Und noch einmal. Bis sie anfing, ihn zurück zu küssen… bis ihre Zungen sich vereinten… Er schmeckte nach Blut und nassem Gras und nach Erde. Er schmeckte nach Michael…
Aus ihren Küssen wurde glühende Leidenschaft. Er zerriss ihre Kleider, drapierte sie auf den Boden, liebkoste sie, zehrte von ihr und fraß sie regelrecht auf.
Wie ein ausgehungertes Raubtier fiel er über sie her und krallte sich in ihrem Fleisch fest. Sein ohnehin ziemlich
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