Per Anhalter (German Edition)

damit lassen.
    „Na ja“ meinte er dann, „So witzig ist das ja nicht.“,
    „Ne, allerdings nicht!“,
    „Ich hatte damals mal ´n Freund, Hemmsen hieß der, Ingo Hemmsen… den haben sie damals tot in Eckernförde gefunden. Der war auch von zu Hause abgehauen.“,
    „Oh, vielen Dank auch, mach mir ruhig Mut!“ sagte sie. Doch sie meinte es wahrhaftig nicht so locker-flockig wie ihr Tonfall es hätte vermuten lassen können.
    Vielleicht besaß Stephan einfach keinerlei Taktgefühl, vielleicht war es ihm aber auch einfach wichtig anzuecken, weil er dachte, sie nähme die Sache auf die leichte Schulter. Wie auch immer – als er die Geschichte anriss durchfuhr sie ein entsetzlich verstörendes Gefühl.
    Sie bekam eine Gänsehaut im Nacken. „Ne ernsthaft. Der war damals 14, 15 vielleicht, soo genau weiß ich das nicht mehr“ erzählte Stephan unvermittelt weiter, „Und der wollte auch jemanden besuchen. Vorher hatte er mordsmäßig Stunk gehabt zu Hause. Sein Alter das war sonn… sonn richtiger Affenarsch kann man sagen. Der hat immer gleich rauf auf die zwölf und wehe jemand parierte nicht, dann war der Arsch aber ab, das will ich dir sagen.“ Stephan hielt inne, rieb sich den Kopf, „Mensch, ich weiß gar nicht mehr wo er nu hinwollte… ob er zum Jahrmarkt wollte oder sowas. Ob da Jahrmarkt war zu der Zeit. Irgendwas war da. Ich mein das war sowas, Zirkus, Jahrmarkt – was weiß ich. Er hatte niemandem vorher Bescheid gesagt, ist einfach auf seinen Drahtesel rauf und losgeradelt. Jedenfalls… Was wollt ich nu sagen? Jedenfalls hatte er sich da wohl mit jemandem verabredet, ist aber nie da angekommen. Vattern zu Hause natürlich gleich los, auf eigene Faust gesucht, die Bullen nachher informiert und alles…“ Stephan schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf, „Aber hat nix gefunden. Er nich und die Bullen auch nich. Ja.“
    Wieder hielt er inne. Dann sagte er nochmal „Ja“ und schüttelte nachdenklich den Kopf. Mareike war nicht imstande, irgendwas dazu zu sagen.
    Sie fragte sich nur: Warum erzählt er mir das jetzt? Warum tut er das?  
    „Irgendwie zwei, drei Wochen später hat ihn denn jemand gefunden. Da ist er mit dem Fahrrad von hier bis nach Eckernförde gefahren. Und iiirgendwie muss er gerade da gewesen sein und hat sich verfahren oder sowas – jedenfalls hat man ihn denn in somm ollen Tümpel gefunden. Obwohl das war ´n ganz schöner Tümpel, sonn See war das mehr, ich war auch mal da, wie ich damals noch Motorrad gefahren bin… Da bin ich mal hingefahren und hab an ihn gedacht. Das war `n guter Freund von mir damals sach ich dir. Den haben sie ermordet.“, „Ermordet?“,
    „Ja.“,
    „Na du machst mir ja echt Hoffnungen, vielen Dank.“ Sie war ehrlich pikiert darüber.
    So etwas konnte er draußen seinen Säuferkumpels erzählen, aber doch keiner Mutter . Und schon gar nicht, wenn das Kind dieser Mutter gerade tags zuvor verschwunden war. Das war ja wohl eine Frage des Anstands! „Ich find das echt nicht so nett“ sagte sie, darum bemüht möglichst lässig zu wirken, denn Stephan war schließlich immer noch ein Kunde, „Warum erzählst du mir davon?“ Jetzt dämmerte ihm wohl, dass es keine gute Idee gewesen war, die Geschichte vorzutragen. „Ja, tut mir Leid. Ich dachte da bloß eben dran. Ihm wird schon nichts passiert, meine Güte, da mach dir mal keinen Kopf.“,
    „Nein, aber man macht ja natürlich doch Sorgen wenn sein eigenes Kind so Holterdipolter verschwindet. Auch wenn man vielleicht sagt, er soll hingehen wo der Pfeffer wächst und das runter spielt – beschäftigen tut mich das schon.“,
    „Ja, selbstverständlich, das bezweifel ich ja auch gar nicht.“,
    „Dann behalt diese Geschichten bitte für dich, okay? Erzähl mir dann davon, wenn David wieder da ist. Im Moment ist das das schlechteste, was du mir erzählen kannst. Wenn das nun `ne aufmunternde Geschichte gewesen wäre, aber so eine…“,
    „Ach, komm, weißt du, ich bin auch damals ab und zu heimlich nachts weggewesen, mal auf Zeltfeste und all sonn Kramm. Und du doch bestimmt auch, oder?“,
    „Ja, bestimmt.“,
    „Na siehste… Und wir leben ja auch noch. Genau wie fast alle würde ich mal sagen.“,
    „Ja, aber trotzdem. David ist nicht nur mal nachts ausgestiegen, er ist weg und ich weiß nicht mal genau, wo er hin ist. Ich weiß nur, dass seine Freundin Lena heißt und er sie aus dem Scheißinternet kennt. Und halt eben dass sie in Flensburg wohnt. Aber mehr weiß ich nicht