Per Anhalter (German Edition)
Filmriss.
Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war, dass er aufgestanden war und sein Fahrrad aus dem Keller geholt hatte, weil er zu… weil er zu Lena wollte.
Zu Lena!
Schlagartig löste sich seine Starre und er schaute sich zu allen Seiten hin um. Er befand sich auf einem riesengroßen Feld.
Ein Feld, hinter dem ein weiteres Feld folgte und noch eines und noch eines und noch eines. Überall waren Felder. Nur vor ihm nicht – da waren diese beiden Wohnwagen und dahinter grenzte ein Kiefernwald an, wie es aussah. Er befühlte seine Hosentaschen – sie waren leer. Aber sein Rucksack lag dort, gleich vor ihm. Er schnappte ihn sich und riss den Reißverschluss auf.
Alles in ihm war plötzlich in Bewegung.
Blut schoss ihm in den vor Schmerzen kurz vor der Explosion stehenden Schädel.
In der Tasche befanden sich nur eine Flasche ACE-Saft und seine Klamotten. Von seinem Handy keine Spur. „Scheiße“ stöhnte er und stand auf. Irgendetwas Schlimmes war geschehen – das wusste er – doch was genau, war nicht mehr greifbar. Es war, als ob ihm der Zugangscode zu seinem Gedächtnis fehlte.
Schwach und verzerrt sah er einen dicken Jungen sowie eine Frau vor seinem inneren Auge. Doch die Gesichter kamen auf und gingen wieder unter – hinter einer Wand – wie beim Kasperletheater.
Und das Blöde daran war, dass er schon im nächsten Moment wieder vergessen hatte, was er eben noch krampfhaft festzuhalten suchte. Als er endlich auf beiden Beinen stand, hätte ihn der massive Schwindel fast wieder zu Fall gebracht. Er fühlte sich, als würde er eher schweben als stehen, oder als ob der Boden unter ihm in permanenter Bewegung war, als wolle er ihn verschlingen wie Treibsand.
Das war selbstverständlich nur Einbildung.
Bei dem Boden handelte es sich um einen ganz normalen Feldboden. Still und unbeweglich lag er da, mit all seinem Gras, den Steinen und der Erde.
Als er sich endlich einigermaßen stabilisiert hatte, schaute er erneut um sich und ihm wurde klar: Wenn irgendetwas „Jwd“ war, dann war es hier. Hier war buchstäblich nichts.
Das hier war Niemandsland.
Nichts als flache, bis in die Unendlichkeit reichende Felder, weit und breit. Ganz am Horizont konnte er die Spitze eines Funkturmes erkennen. Aber Häuser, eine Kirchturmspitze, Autos? Fehlanzeige! Nur die beiden Wohnwagen standen da, verheißungsvoll, und sie strömten etwas unfassbar Abstoßendes aus, wie der Kadaver einer totgefahrenen Katze.
Natürlich hätte er hingehen und anklopfen können, einfach mal schauen, ob jemand zu Hause war. Klar , warum auch nicht? Das war ganz bestimmt das Letzte was er vorhatte, denn er wusste, dass er auf keine natürliche Weise hierher gekommen war.
Irgendetwas war passiert, irgendetwas Schlimmes und der oder die Bewohner dieser beiden Wohnwagen, hatte zweifelsohne etwas damit zu tun. Aber was ? Was zum Henker war es? Allmählich wuchs die Angst in ihm, denn die Ausweglosigkeit seiner Situation wurde ihm mit jedem weiteren Moment der verstrich deutlicher.
Er würde um ein Hilfegesuch nicht umhin kommen.
Selbst wenn er sein Handy noch gehabt hätte und die Notrufnummer wählte, was hätte er da denn sagen sollen? Hilfe, ich glaub, ich bin gekidnappt worden. Und ich bin jetzt hier . Na, hier… Also… Hier sind… Felder… Ein Wald… Ach ja, und zwei Wohnwagen. Die Leute aus der Notrufzentrale hätten wahrscheinlich aufgelegt und ihn für einen Spinner gehalten.
Er selbst glaubte ja gerade zu spinnen. Das hier konnte doch gar nicht echt sein, verdammt noch mal.
Egal was immer er bisher auch an Schlechtigkeit im Leben gesehen und erfahren hatte, es war doch nie so, dass es keinen Ausweg aus dem Schlammassel gab. Irgendwo war immer ein Schlupfloch… Und gerade bei Situationen wie dieser hier – da wachte man einfach auf, wenn es am Schlimmsten war und fertig war das Ei. Wenn er ehrlich war, dann rechnete er sogar ein bisschen damit, gleich wach zu werden, doch diese Hoffnung musste er jetzt ganz allmählich mal ad acta legen und sich ernsthaft Gedanken machen.
Es nützte nichts, wenn er sich zwickte. Es änderte sich nichts, wenn er sich noch mal umsah – er war hier und er war es wirklich . Mitten auf einem Feld, vor zwei Wohnwagen, sein Schädel möglicherweise aufgeblasen wie ein Medizinball (fühlte sich jedenfalls so an) und sein Körper ausgehungert und vertrocknet.
Grauenvoll, sicher – aber hier war keine Mami die ihn aufweckte, kein Handy dass ihm die Möglichkeit gab, sich Hilfe zu
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