Per Anhalter (German Edition)
der Polizei angerufen , schalte sie sich selbst.
Warum bloß?
Auf was hatte sie gewartet, wo sie ihren Sohn doch kannte, verdammt noch mal.
Ihr war schon wieder zum Heulen zumute, aber wozu hätte das geführt? Das einzige, was ihr helfen konnte, war, wenn sie sich Hilfe suchte.
Und zwar bei der Polizei. Besser spät als nie!
Sie musste ihren Jungen als vermisst werden. David lag schließlich nur in ihrem Kopf tot in einem Wald. Nur in ihrem Kopf wurde er missbraucht und nur in ihrem Kopf war alles dunkel und trostlos. Vielleicht war die Realität dieses Mal gnädiger mit ihr als sonst immer. Vielleicht war David tatsächlich abgebrühter als sie je gedacht hätte und genoss mit Lena einfach einen faulen Lenz. Inzwischen konnte ihr das nur Recht sein!
***
Ein beleibter und ausgesprochen betagt aussehender Mann namens Iwersen nahm ihre Vermisstenmeldung auf.
Während sie ihm die Geschichte erzählte verzog er keine Miene.
Er schaute sie nicht einmal an, sondern tippte nur in seinen PC alles ein.
Offen gestanden fühlte sie sich von ihm alles andere als ernst genommen. Es war als würde er denken, nicht schon wieder die Geschichte, Mensch . Die höre ich jetzt schon zum 359. Mal . Weil er so stur unterkühlt blieb, hatte sie schon Hemmungen weiter zu erzählen.
Sie wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen und hätte es ihm zerkratzt, so dreist fühlte sie sich abserviert.
So also sieht sie aus , dachte sie, die Polizei, dein Freund und Helfer. Ein gelangweilter alter Sack der denkt: geh mir nicht auf die Nerven du dusselige Kuh .
Als sie dann schließlich fertig war, seufzte der pausbäckige Beamte und überflog das was er geschrieben hatte noch einmal.
„Seit gestern ist er weg, nä?“
Sie nickte. Der Mann tippte wieder etwas ein.
„Wie sieht sein Fahrrad aus? Marke oder irgendwas da, `n Kaufbeleg oder so?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ist ein gelbes. Welche Marke weiß ich nicht.“
Er hob die Hände und zuckte mit den Schultern. Er hatte wohl nichts anderes erwartet.
Dann tippte er wieder und aus dem Drucker kam das, was sie zu Protokoll gegeben hatte.
Er legte es ihr vor die Nase und schob ihr einen Kugelschreiber zum Unterschreiben hin. Bevor sie zu lesen anfing bestätigte er ihre Vermutung. Er hatte diese Geschichte schon zig Mal aufgenommen. Für ihn war das Alltag und so verhielt er sich auch. Alles keine große Sache für ihn.
„Also“, meinte er, „16 ist er sagten sie?“,
„Ja.“
Er nickte. „Würd ich jetzt mal sagen, gar nicht groß `n Kopf machen, erstmal abwarten. In der Regel tauchen die immer wieder auf. 15, 16 und auch darunter noch, die reißen immer mal aus und kommen nach ein paar Tagen wieder zurück. Wir werden natürlich die Streifenwagen informieren, auch das Foto hier wird rum gehen, und... Aber meistens bringt das nicht viel, in der Regel kommen die Kinder von allein wieder.“,
„Und wann?“ Unterbrach sie ihn ungeduldig.
„Unterschiedlich“ meinte er mit der Gelassenheit eines Gärtners, der soeben gefragt wurde, ab wann man Tomaten einpflanzen kann. „
Manchmal dauert es nur Tage, manchmal nach ne Woche vielleicht. Aber wenn Sie ansonsten ein gutes Verhältnis zu Ihrem Sohn hatten, Frau Gimm, dann kommt er auch wieder nach Hause, das glauben Sie man.“,
„Und was ist in Flensburg? Haben die da auch sein Bild?“,
„Werde ich veranlassen dass die das kriegen. Wir machen das schon. Wenn er jetzt wider erwarten doch nicht auftaucht... Ich sach ma so innerhalb der nächsten 24, 48 Stunden, dann können wir immer noch mal weitersehen. Kommen Sie dann einfach noch mal auf uns zu.“, „Und wenn ihm was passiert ist? Wenn er jetzt in diesem Moment gerade Hilfe braucht? Was dann? Andere Kinder werden doch auch tagelang gesucht, warum meines nicht.“
Iwersen machte eine abwertende Handbewegung. „Das ist vielleicht im Fernsehen so, ja. Aber in der Realität haben wir für sowas gar nicht die Kapazitäten. Wir können keine Hundertschaften abstellen, weil ihr Junge verliebt ist und mit seiner Freundin turtelt. Das geht einfach nicht.“
Sie war entsetzt über diese Aussage.
„Ich fühle mich wirklich...“ stammelte sie und suchte nach dem richtigen Wort. Dann sah sie den Polizisten an. „ Hilflos !“ sagte sie, „Ich fühle mich einfach hilflos . Und ich bin zu Ihnen gegangen weil ich Hilfe brauche, und Sie schicken mich nach Hause und sagen, der kommt schon wieder. Die anderen sind ja auch alle wiedergekommen? Was ist denn
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