Per Anhalter (German Edition)
das für eine Art, sagen Sie mal.“
So forsch kannte sie sich selbst gar nicht. Schon gar nicht vor Obrigkeiten wie Polizisten.
Sie war selbst überrascht, wie viel Mut auf einmal in ihr steckte.
Der Polizist schaute sie mit seinem unverändert gleichgültigen Ausdruck an. Offenbar kannte er nicht nur die Geschichte, er kannte auch die Reaktionen der Eltern.
Schön für ihn , dachte sich Mareike, ich werde ihm trotzdem noch einmal sagen, was ich davon halte . Doch dann hob er abwehrend die Hände und sagte gelassen: „Ich kann Ihnen nur sagen, wie es ist , Frau Gimm. Und glauben Sie man nem alten Polizisten. Ich mach den Job jetzt geschlagene 30 Jahre und ich hab genug solche Fälle gehabt. Ich verstehe, dass das für Sie als Mutter schwer zu verstehen ist. Das eigene Kind haut ab und natürlich macht man sich da Gedanken. Aber er kommt wieder, glauben Sie mir. Er ist beleidigt mit Ihnen, will seinen Kopf durchsetzen und will seinen Spaß haben. Wenn er das hinter sich hat steht er wieder auf der Matte, da verwette ich meinen Allerwertesten drauf. Das kommt tagtäglich tausendfach vor. In dem Alter ist das normal . Wenn Ihr Junge nun 10 wäre oder 11, 12, dann würde ich jetzt auch stutzig werden. Aber mit 16... Ne, ne, der kommt schon wieder. Meine Kollegen werden Ausschau nach ihm halten, aber mehr kann ich Ihnen da im Augenblick nicht zusagen. Wenn er nun in zwei, drei Tagen immer noch nicht wieder da ist, dann kommen Sie noch mal auf uns zu und dann schauen wir mal.“,
„Der Junge ist 16“ fuhr sie ihn an. Ich bin für ihn verantwortlich und ich kenne meinen Jungen. Der haut nicht einfach ab und kommt nicht zurück. Ich fühl mich gerade als wenn ich nicht ganz bei Trost bin. Als ob ich hier aus ner Mücke nen Elefanten mache.“
Der Polizist lachte verschmitzt, was wahrscheinlich mehr sagte als Worte.
„Sie als Polizist wissen doch selbst genau, was in der Welt alles passiert. Da ist es doch normal, wenn man sich als Mutter da Sorgen macht, oder etwa nicht?“
Er nickte. Gelangweilt. Und lächelte dümmlich in sich hinein.
„Ich finde das ist eine Unart wie Sie hier mit besorgten Leuten umgehen. Ein ganz klein bisschen Einfühlungsvermögen und Engagement sind doch wohl nicht zu viel verlangt, oder?“ Der Mann verzog noch immer keine Miene. Ihr tat es trotzdem unheimlich gut, ihm einfach die Meinung an den Kopf zu knallen. So eine aufgeblasene faule Socke! Was konnte sie denn dafür, dass er geschlagene 30 Jahre hysterische Mütter vor sich hatte, und das für gewöhnlich und normalerweise alles so und so ablief?
Ihr Sohn war verschwunden. Und sie wollte, dass die Polizei nach ihrem Sohn suchte.
Sie wollte nicht warten, bis er von allein zurückkam. Wäre sie sonst etwa hier? So ein blöder Sack!
„Außerdem“ fuhr sie fort, „Was ändert es, wenn ich in drei oder vier Tagen wieder komme? Dann sage ich Ihnen vielleicht, dass mein Sohn immer noch nicht wieder da ist. Und dann? Dann werden sie hellhörig und suchen nach ihm?“,
„Dann erzählen Sie mir doch bitte mal, Frau Gimm, was wir Ihrer Meinung nach jetzt machen sollen…“ Er hatte den Satz noch nicht ganz zu Ende gesprochen da schoss sie dazwischen: „Ihn suchen! Ihn suchen, mehr nicht! Sie können doch auch Handys orten, oder nicht?“,
„Ja, aber Frau Gimm, stellen Sie sich das bitte mal nicht so einfach vor. Ich hab schon mal gesagt wir sind hier nicht im Fernsehen. Erstens: Das Handy, das wir orten, muss eingeschaltet sein. Und wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, ist das Handy ihres Sohnes ausgeschaltet. Zweitens bedarf es hierzu eine richterliche Verfügung. Die haben wir nicht und die werden wir auch so nicht bekommen. Das ist mit das Schwerste überhaupt, so ´ne Handyortung durchzukriegen. Sehen Sie, sonst könnte ich mich ja hierhin setzen, die Handynummer meiner Frau eingeben und schauen, wo sie sich aufhält. Und abends überführe ich sie vielleicht auf diesem Weg, dass sie mir fremdgegangen ist.“,
„Ja. Meinetwegen. Es geht aber hier nicht um Ihre Frau sondern…“,
„Um Ihren Sohn, ich weiß. Aber worauf ich hinaus will, Frau Gimm, ist nicht etwa meine Frau, sondern darauf, Ihnen mal klipp und klar zu sagen, dass wir hier nicht in einem Fernsehkrimi aus Amerika stecken. All dieses Equipment dass die Polizei angeblich zur Verfügung hat, da träumen wir nur von. Die Wahrheit ist, dass wir im Endeffekt erst einmal genauso wenig tun können wie Sie. Sie müssen sich uns eher wie einen Kraken
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