Per Anhalter (German Edition)
Aber genau das war der Fall.
Man spürte ihren Wahnsinn, weil sich einem die Nackenhaare aufstellten und man wusste, dass ein falsches Wort ausreichte, dass sie den Verstand völlig verlor. Man spürte eine endlose Kälte und Tränen der Verzweiflung stiegen einem in die Augen. Diese Frau war kein Mensch, den man mit Worten bearbeiten konnte – diese Frau lebte in ihrer ganz eigenen, kranken Welt, die nur sie selbst verstand. Was Mario anging, ihn konnte er schwer einschätzen, aber er schien auch nicht ganz klar zu sein.
Er beobachtete ihn mit demselben gleichgültig-eingemeißelten Ausdruck in den Augen wie zuvor, als ob dies hier das Normalste auf der Welt war.
„Und noch etwas, David“ fuhr Britta fort. Sie hatte die Zähne aufeinander gepresst während sie sprach. „Deine Mutter hat in der Zwischenzeit auch versucht dich zu erreichen. Ich gebe dir einen Tipp, David, nur einen einzigen: Vergiss auch deine Mutter!“
Sie flippt gleich völlig aus…
Sein rechtes Bein hämmerte mit voller Wucht gegen den Tisch. Mario blies von der Seite Rauch in sein Gesicht.
„Es wird nicht einfach, David, ganz bestimmt nicht. Aber gemeinsam bekommen wir es hin, ja? Vergiss. Deine. Mutter! Es ist besser für dich und für sie. Eins kannst du mir glauben – wir wissen alles über dich. Also: Pass auf was du sagst. Kapiert?“
Grinsend funkelte sie ihn an.
Er schluckte.
Dann nickte er. „Ja. Ja ich pass auf.“
Mutter hat versucht mich anzurufen. Sie macht sich Sorgen. Ein gutes Zeichen… Oder? Sie wird mich nicht erreichen. Sie nicht… Aber… vielleicht die Polizei… Vielleicht können sie das Handy irgendwie orten oder so… Ich muss das Spielchen mitspielen… so tun, als ob alles in Ordnung ist. Das wird sicherer sein… Ich darf nur nicht die Geduld verlieren…
„Wir haben uns also verstanden, ja?“,
„Haben wir!“,
„Sicher?“,
„Ganz sicher!“
Britta hob den Kopf und musterte ihn. Dann sagte sie, „Also gut… Dann… Mario, magst du ihm dann sein Zimmer zeigen?“,
„Jo!“
Mein Zimmer zeigen? Hä? Er soll was?
„Denn komm man, min Jung!“ sagte er, ließ einen Schlüssel auf den Tisch fallen und zog mit der Anmut eines Zauberers ganz plötzlich eine Tüte unter dem Tisch hervor. Er kramte darin herum und zog ein paar Handschellen sowie eine Fernbedienung heraus. Auch diese beiden Dinge legte er auf dem Tisch ab.
„Ich… bekomm ein eigenes Zimmer?“,
„Ich sag doch, du wirst es gut haben“ sagte Britta (jetzt wieder scheißfreundlich).
Da sind Handschellen… okay… da sind Handschellen … Aber Mama hat versucht mich zu erreichen. Denk an den Mutterinstinkt, David… Denk daran, dass sie die Polizei gerufen hat… Die Polizei kann mein Handy orten… Sie kann es… Alles wird gut!!!
„Dann lass uns ma rüber. Uwe hat auf, oder?“ fragte Mario Britta. „Ich denke schon.“
***
Mario hatte ihm die Handschellen angelegt und geleitete ihn nun wie einen Gefängnisinsassen herüber.
Die Tür von Uwes Wohnwagen stand offen.
Uwe saß drinnen am Tisch und war gerade damit beschäftigt, eine große Menge Zigaretten mit dem Stopfgerät herzustellen. So sah es auch oft bei Mutter im Wohnzimmer aus, wenn sie dabei war zu stopfen.
Uwe schaute zu ihnen auf und grüßte salutierend, womit der Gefängnischarakter weitere Bestätigung erhielt.
David blieb ganz ruhig.
Er atmete bewusst und kontrolliert.
Nichts würde ihn aus der Ruhe bringen, das schwor er sich.
Seine Gedanken, all seine Hoffnungen ruhten auf seiner Mutter.
In diesem Wohnwagen herrschten, anders als in dem von Britta und Mario, Chaos und Anarchie.
Überall lagen Sachen verteilt.
Auf dem Fußboden befanden sich zwei Matratzen, wobei eine mit einem gigantischen Berg von Kleidern bedeckt war. Schmutzige Socken, Schallplatten, Bierflaschen- und Dosen, all das lag herum und es war nur die Spitze des Eisbergs.
„Ist hinten wieder das einfache Schloss dran?“ fragte Mario Uwe.
„Das Alte meinst du?“,
„Ja.“,
„Ja, ist wieder dran.“,
„Gut, alles klar. Dann komm“ sagte er und drehte David um.
Und so verließen sie Uwes Wohnwagen wieder und gingen nach hinten herum, wo sich der Holzverschlag befand. Einen kurzen, beinahe unwirklichen Moment dachte David: Jetzt müsste ich einfach los laufen. Den Hund könnte ich nicht abhängen, aber diesen Kerl bestimmt… vielleicht… Doch die Stimme der Vernunft erinnerte ihn daran, dass es auch ein vielleicht auch nicht gab.
Besser
Weitere Kostenlose Bücher