Per Saldo Mord
Fragen über ihre Abenteuer und den Hotelklatsch. Das ist Ernestines Lebensinhalt. Die Erfahrungen anderer Leute sind der Ersatz für ihre eigenen, die sie nicht hat. Sie ist romantisch veranlagt, und Bernices Erzählungen nähren ihre Phantasie. Außerdem hockt sie jeden Abend vor dem Bildschirm. Kriminalfilme sieht sie am liebsten. Als sie hörte, daß ich Privatdetektiv bin, betrachtete sie mich mit Sternen in den Augen.«
»Was haben Sie mit ihr im Sinn? Wollen Sie sie an der Nase rumführen?«
»Nein, ob Sie’s glauben oder nicht, ich will ihr helfen.«
Er zog die Brauen hoch. »Helfen? Wie stellen Sie sich das vor?«
»Ganz einfach. Ich werde ihr in Los Angeles einen Posten als weiblicher Spürhund verschaffen.«
»Hat sie in dem Beruf irgendwelche Erfahrungen?«
»Nein, aber sie hat Talent dafür. Sehen Sie sich das Mädel doch mal genau an. Sie ist fürchterlich angezogen und hat eine Frisur, die überhaupt nicht zu ihr paßt. Und der Grund: Sie geht so sehr im Leben anderer Leute auf, daß sie sich selbst darüber völlig vergißt. Noch ist sie jung und begeisterungsfähig. Aber falls da niemand einen Riegel vorschiebt, wird sie mit der Zeit eine unschöne, mit Komplexen behaftete alte Jungfer. Sie muß aus dem ewig gleichen Trott heraus. Wenn sie nämlich lernt, ein bißchen was aus sich zu machen und sich gut zu verkaufen, wird sie eines Tages irgendeinen ernsthaften, ehrlichen jungen Burschen heiraten und sich als wundervolle Ehefrau und Mutter und verdammt nette Großmutter entpuppen.«
»Schön, und was haben Sie mit ihr vor?«
»Ich will ihr eine interessante Arbeit verschaffen und sie aus ihrem Winkel herausholen, damit sie das Leben kennenlernt, Erfahrungen sammelt und ihre natürlichen Fähigkeiten entwickelt.«
»Das heißt, Sie möchten ein Mauerblümchen nach bewährter Hollywoodmanier in einen männermordenden Vamp verwandeln, wie?«
»Blech. Sogar wenn ich das wollte, könnte ich es gar nicht, weil Ernestine da nicht mitmachen würde. Sie ist viel zu vernünftig dazu. Nein. Sie interessiert sich für Menschen und Dinge und sehnt sich nach einem Fleck, auf dem sie zu Hause ist. Sie möchte das Gefühl haben, irgendwohin zu gehören. Sie will weder ein Vamp noch die erste Liebhaberin in einer modernen Komödie sein. Sie möchte arbeiten und ein eigenes Heim haben mit einem ebenso hart arbeitenden Ehemann und Kindern, die der Familie Ehre machen. Bis es soweit ist, kann sie sich als Spürhund betätigen. Sie ist zuverlässig, intelligent, hat ein gutes Gedächtnis und eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe. Was will man mehr?«
»Herrje! Das Mädel hat Ihr Mitleid erregt, und schon kippen Sie aus den Pantinen. Zum Detektivspielen braucht man vor allem Erfahrung. Ihr verdammten Amateure! Ihr macht mich krank!«
»Tja. Aber wir haben die Mordwaffe aufgestöbert, oder etwa nicht?«
Er sah mich an und grinste. »Autsch! Das hat gesessen.«
Nach einer Weile fischte er eine Packung Zigaretten heraus, bot mir eine an und nahm selbst eine. »Wie, zum Henker, haben Sie das Messer eigentlich ausfindig gemacht, Lam?«
»Eigentlich hat es Ernestine für mich gefunden.«
»Okay, aber wie?«
»Ich bat sie, Bernice über die Ereignisse der letzten Tage auszuholen, weil ich wissen wollte, was sich hinter den Kulissen abspielte. Vor allem interessierte mich alles, was aus dem Rahmen des Alltäglichen fiel. Ich meine natürlich nicht Skandale oder so, sondern kleine Vorkommnisse, die zwar ungewöhnlich waren, sich aber mehr am Rand abspielten. Wie beispielsweise eine herrenlose Aktenmappe, die von niemandem reklamiert wurde.«
»Heißt das nach einer Mordwaffe suchen?«
»Warum nicht? Ein Vorlegemesser trägt man schließlich nicht in der Hosentasche mit sich umher, weil das erstens gefährlich und zweitens unbequem ist.«
»Aber der Mörder hat es irgendwie ins Hotel geschmuggelt«, wandte Hobart ein. »Warum sollte er es nicht auf dem gleichen Weg
hinausschmuggeln?«
»Tja, da liegt der Hund begraben. Ich kapiere das auch nicht. Es ist bestimmt nicht die Sorte Messer, die man als Waffe mit sich umherschleppt. Ich hätte eher auf ein Messer mit einer stabilen stählernen Klinge oder auf eine Art zweischneidiges Stilett getippt. Warum der Mörder ausgerechnet ein Vorlegemesser mit einem Plastikgriff benützt hat, ist mir schleierhaft.«
Hobart kniff die Augen zusammen. »Woher wissen Sie, daß das Messer einen Plastikgriff hat?«
»Das hab’ ich gesehen, als ich einen Blick in die Aktenmappe
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