Percy Jackson Bd. 5 Die letzte Göttin
Augen weiteten sich. »Wacholder! Die wird mich
umbringen!«
Er trottete los, dann kam er zurückgerannt und umarmte mich
noch einmal. »Sei vorsichtig da unten. Und komm lebend zurück!«
Sowie er fort war, rüttelten Nico und ich Mrs O’Leary aus dem
Schlaf.
Als sie den Tunnel roch, wurde sie aufgeregt und jagte die
Treppe hinunter. Sie passte nur haarscharf hindurch. Ich hoffte, sie würde nicht stecken bleiben. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie viel Rohrreiniger wir brauchen würden, um einen im Tunnel zur
Unterwelt feststeckenden Höllenhund loszueisen.
»Bereit?«, fragte Nico mich. »Alles wird gut. Mach dir keine
Sorgen.«
Das klang, als ob er sich selbst überzeugen wollte.
Ich schaute zu den Sternen hoch und fragte mich, ob ich sie
jemals wiedersehen würde. Dann brachen wir auf in die
Dunkelheit.
Die Treppe nahm einfach kein Ende – sie war eng, steil und
glitschig. Es war absolut dunkel, abgesehen vom Leuchten meines Schwertes. Ich versuchte, langsam zu gehen, aber Mrs O’Leary
hatte andere Vorstellungen. Sie sprang voran und ihr Gebell hallte im Tunnel wider wie Kanonenschüsse, so dass wir garantiert
niemanden überraschen würden, wenn wir endlich unten an-
gekommen wären.
Nico fiel zurück, und das kam mir seltsam vor.
»Alles klar?«, fragte ich ihn.
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»Alles klar.« Was war das für ein Ausdruck in seinem Gesicht …
Zweifel? »Geh einfach weiter«, sagte er.
Mir blieb nicht viel anderes übrig. Ich folgte Mrs O’Leary in die Tiefe. Nach einer weiteren Stunde hörte ich das Tosen eines
Flusses.
Wir erreichten den Fuß eines Felsens vor einer Ebene aus
schwarzem vulkanischem Sand. Zu unserer Rechten sprudelte der
Fluss Styx zwischen den Felsen hervor und toste in einer Kaskade von Stromschnellen weiter. Links von uns, weit hinten in der Finsternis, brannten Feuer auf den Wällen von Erebos, auf den hohen schwarzen Mauern von Hades’ Königreich.
Mir schauderte. Ich war mit zwölf Jahren erstmals hier gewesen, und nur die Tatsache, dass Annabeth und Grover bei mir gewesen waren, hatte mir den Mut gegeben weiterzumachen. Nico würde
mir bei der Sache mit dem Mut nicht so sehr helfen. Er sah selbst bleich und besorgt aus.
Nur Mrs O’Leary schien glücklich zu sein. Sie rannte den Strand entlang, las irgendwo einen menschlichen Schenkelknochen auf
und kam zu mir zurückgetollt. Sie ließ den Knochen vor meine
Füße fallen und wartete darauf, dass ich ihn warf.
»Äh, später vielleicht, altes Mädchen.« Ich starrte das dunkle Wasser an und versuchte, Mut zu fassen. »Also, Nico, was machen wir jetzt?«
»Wir müssen zuerst durch das Tor«, sagte er.
»Aber der Fluss ist doch hier.«
»Ich muss etwas holen«, sagte er. »Anders geht’s nicht.«
Ohne weitere Erklärungen lief er davon.
Ich runzelte die Stirn. Nico hatte nicht gesagt, dass wir die Tore passieren müssten. Aber wo wir schon einmal hier waren, wusste ich nicht, was ich sonst tun sollte. Widerstrebend folgte ich ihm den Strand entlang auf die großen schwarzen Tore zu.
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Schlangen von Toten warteten davor auf Einlass. Es musste ein
Tag mit reichlich Beerdigungen gewesen sein, denn sogar die
DIREKTER-TOD-Schlange war endlos lang.
»Wuff!«, machte Mrs O’Leary. Ehe ich sie aufhalten konnte,
sprang sie auf die Kontrollstelle zu. Zerberus, der Wachhund des Hades, tauchte aus der Dunkelheit auf – ein dreiköpfiger Rott-weiler, so groß, dass Mrs O’Leary daneben wie ein Stoffpudel aussah. Zerberus war halb durchsichtig, er ist also wirklich schwer zu sehen, bis er nah genug herangekommen ist, um einen umzubringen, aber er achtete nicht auf uns. Er war zu sehr mit der Begrüßung von Mrs O’Leary beschäftigt.
»Mrs O’Leary, nein!«, brüllte ich. »Nicht schnüffeln … Oh
Mann!«
Nico lächelte. Dann sah er mich an und wurde wieder ganz ernst, als ob ihm etwas Unangenehmes eingefallen wäre. »Na los. Sie
werden dir keinen Ärger machen. Du gehörst zu mir.«
Es gefiel mir nicht, aber wir wurden von den Sicherheitsgeistern durchgelassen und betraten den Asphodeliengrund. Ich musste
dreimal nach Mrs O’Leary pfeifen, ehe sie Zerberus verließ und hinter uns herrannte.
Wir wanderten über schwarze Wiesen mit schwarzen Pappeln.
Wenn ich wirklich in einigen Tagen sterben müsste, wie die Weissagung behauptete, würde ich vielleicht für immer hier enden, aber ich versuchte, nicht daran zu denken.
Nico trottete vor mir her und führte uns immer näher an den
Palast
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