Percy Jackson Bd. 5 Die letzte Göttin
Ich sah die Gesichter mehrerer Zentauren, die uns anstarrten.
Dann stoppte Guido unseren Sturz, segelte etwa fünfzehn Meter
und ließ sich auf das Pflaster fallen, Pegasus über Halbgott.
Au!, stöhnte Guido. Meine Beine. Mein Kopf. Meine Flügel.
Chiron galoppierte mit einem Arztkoffer heran und machte sich
an dem Pegasus zu schaffen.
Ich kam auf die Füße. Als ich hochschaute, kroch mein Herz in
meine Kehle. Der Hubschrauber würde in wenigen Sekunden mit
dem Gebäude zusammenstoßen.
Doch dann richtete er sich auf wundersame Weise auf. Er drehte ab und schwebte einen Moment auf der Stelle. Dann begann er
langsam den Sinkflug.
Es schien ewig zu dauern, aber endlich setzte er mitten auf der Fifth Avenue auf den Boden auf. Ich schaute durch die Windschutzscheibe und konnte meinen Augen nicht trauen. Annabeth
saß am Steuer.
Als die Rotoren zum Stillstand kamen, stürzte ich los. Rachel
öffnete die Seitentür und zog den Piloten heraus.
Sie war noch immer so gekleidet wie am Strand, mit Shorts, T-
Shirt und Sandalen. Ihre Haare waren verfilzt und ihr Gesicht war nach dem Flug im Hubschrauber ganz grün.
Annabeth stieg ebenfalls aus.
Ich starrte sie voller Bewunderung an. »Ich wusste gar nicht,
dass du einen Hubschrauber fliegen kannst.«
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»Ich auch nicht«, sagte sie. »Aber mein Dad ist verrückt nach
dem Fliegen. Und Dädalus hat einige Notizen über Flugmaschinen gemacht. Ich habe einfach versucht, zu erraten, wie das alles
funktioniert.«
»Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Rachel.
Annabeth bewegte ihre verletzte Schulter. »Na ja … wir wollen
da keine Gewohnheit draus machen. Was willst du eigentlich hier, Dare? Bist du wirklich so blöd, in ein Kriegsgebiet zu fliegen?«
»Ich …« Rachel sah mich an. »Ich musste einfach kommen. Ich
wusste, dass Percy in Schwierigkeiten ist.«
»Toll erkannt«, knurrte Annabeth. »Na, wenn ihr mich jetzt
entschuldigt, ich muss mich um meine verletzten Freunde kümmern. Nett, dass du vorbeischauen konntest, Rachel.«
»Annabeth!«, rief ich.
Sie stürzte davon.
Rachel ließ sich auf den Bordstein fallen und schlug die Hände vors Gesicht. »Tut mir leid, Percy. Ich wollte nicht … immer richte ich so ein Chaos an.«
Da konnte ich ihr nicht widersprechen, aber ich war froh, dass ihr nichts passiert war. Ich schaute in die Richtung, in die Annabeth gerannt war, aber sie war in der Menge verschwunden. Ich
konnte nicht fassen, was sie eben getan hatte – sie hatte Rachel das Leben gerettet, hatte einen Hubschrauber gelandet und war
weggegangen, als sei das alles nicht der Rede wert.
»Ist schon gut«, sagte ich zu Rachel, obwohl es nicht überzeu-
gend klang. »Was sollst du mir denn nun ausrichten?«
Sie runzelte die Stirn. »Woher weißt du das?«
»Ein Traum.«
Rachel sah nicht überrascht aus. Sie zupfte an ihren Shorts. Die waren von Zeichnungen bedeckt, was bei ihr nicht ungewöhnlich
war, aber diese Symbole erkannte ich: griechische Buchstaben,
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Bilder von Perlen der Camp-Halsbänder, Skizzen von Monstern
und Göttergesichtern. Ich begriff nicht, woher Rachel das alles hatte. Sie war nie auf dem Olymp oder im Camp Half-Blood
gewesen.
»Ich habe auch Dinge gesehen«, murmelte sie. »Ich meine, nicht nur durch den Nebel. Das hier ist was anderes. Ich habe Bilder gemalt, Sätze geschrieben …«
»Auf Altgriechisch«, sagte ich. »Weißt du, was sie bedeuten?«
»Darüber wollte ich ja mit dir sprechen. Ich hatte gehofft … na ja, ich hatte gehofft, du würdest mit uns in den Urlaub fahren und mir helfen, zu begreifen, was mit mir los ist.«
Sie sah mich bittend an. Ihr Gesicht war von der Sonne verbran-nt und ihre Nase pellte sich. Ich kam nicht über den Schock hinweg, sie hier vor mir zu sehen. Sie hatte ihre Familie gezwungen, ihren Urlaub abzubrechen, hatte sich bereit erklärt, eine schreckliche Schule zu besuchen und war dann mit einem Hubschrauber
mitten in eine Schlacht von Monstern geflogen, nur um mich zu
sprechen. Auf ihre Weise war sie ebenso tapfer wie Annabeth.
Aber diese Visionen machten mich fertig. Vielleicht passierte das ja allen Sterblichen, die durch den Nebel schauen konnten. Aber meine Mom hatte so etwas nie erwähnt, und ich musste immer
wieder daran denken, was Hestia über Lukes Mom gesagt hatte:
May Castellan ist zu weit gegangen. Sie sah zu viel.
»Rachel«, sagte ich. »Ich wünschte, ich wüsste es. Vielleicht sollten wir Chiron fragen.«
Sie zuckte zusammen wie
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