Perdido - Das Amulett des Kartenmachers

hin. Aber nicht einer meldete sich freiwillig.
    Schließlich machte doch jemand den Mund auf: »Ich kann’s nicht übernehmen, weil ich gegen Sand allergisch bin«, verkündete Rockford. »Und gegen Rudern«, fügte er vorsichtshalber hinzu.
    »Ich würd mir den rechten Arm abhacken lassen, wenn ich die Insel entdecken dürfte«, sagte Bandit, »aber ich hab leiderkeinen rechten Arm mehr, drum kann ich’s auch nicht machen.«
    »Ich kann keine Kokosnüsse sammeln, weil ich ’ne schlimme Nussallergie hab«, verkündete Hawkeye. »Ich brauch ’ne Makadamianuss bloß anzuschaun, schon schwell ich an wie ein Kugelfisch.«
    Rupert wollte gerade sehr, sehr unzufrieden mit seiner Mannschaft werden, als Oliver Muddel fragte, ob er ihn unter vier Augen sprechen könne. Er sei nämlich auf eine Lösung gekommen, mit der gewiss alle einverstanden wären. Hugo beobachtete, wie die beiden Männer miteinander tuschelten. Was heckten sie da wohl aus? Immer wieder zwischendurch schielte einer von beiden zu ihm herüber, sah aber gleich wieder weg, wenn ihre Blicke einander begegneten. Schließlich kam Rupert auf Hugo und Walter zu. Die Matrosen nahmen wieder hinter ihm Aufstellung.
    »Die Besatzung und ich sind übereingekommen, dass zwei Mann an Land gehen und die Insel Rupertannien erkunden sollen.«
    Walter und Hugo nickten.
    »Es liegt auf der Hand, dass ich selbst viel zu unentbehrlich bin, um meine Zeit damit zu verplempern, über irgendeine gottverlassene Insel zu streifen und irgendwelche Kokosnüsse zu suchen.«
    Hugo wurde den Verdacht nicht los, dass Admiral Lilywhite das Wesen des Entdeckerberufs noch nicht recht begriffen hatte.
    »Genau genommen«, fuhr Rupert fort, »wäre es sträflicher Leichtsinn, jemanden ohne eine vernünftige Karte blindlings über die Insel tapern zu lassen. Man könnte sich schließlich, Gott bewahre, verlaufen!«
    Hugo und Walter wechselten einen skeptischen Blick.
    »Und darum schicke ich euch beide voraus, damit ihr eine ausführliche Karte der Insel anfertigt. Außerdem pflückt ihr die eine oder andere kokosnussähnliche Frucht und rudert dann wieder zum Schiff zurück. Sobald uns eine Karte vorliegt, sind auch die Mannschaft und ich bereit, die Insel zu erkunden, denn dann brauchen wir ja keine Angst mehr zu haben, uns zu verlaufen.«
    Walter erwiderte höflich: »Aber Herr Admiral, Hugo und ich haben keinerlei Erfahrung darin, uns unserer Haut zu wehren. Ich würde liebend gern an Land gehen und die Insel kartografieren, aber ich möchte doch darum bitten, dass uns einige dieser wackeren Seeleute zu unserem Schutz begleiten. Und ich bestehe darauf, dass mein Neffe so lange auf dem Schiff bleibt, bis ich mir einen ersten Eindruck verschafft habe.«
    Es klirrte leise. Oliver Muddel hatte sein Entermesser gezogen und richtete die krumme Klinge auf Walter.
    »Ich glaube, du hast Admiral Rupert nicht richtig verstanden.« Er lächelte, wobei eine Reihe Silberzähne aufblinkte.
    »Matrose Muddel hat recht«, bestätigte Rupert. »Mein Plan ist kein Vorschlag, sondern ein Befehl. Verstanden?«
    »Demnach haben wir keine Wahl, oder?«, stellte Hugo fest.
    »Aber klar habt ihr eine Wahl, Kleiner«, erwiderte Oliver Muddel freundlich. »Entweder ihr sitzt in zehn Minuten in diesem Ruderboot oder wir schicken euch über die Planke.«

11. Kapitel
    W
alter und Hugo kamen nicht dazu, lange herumzudiskutieren. Mit klopfenden Herzen begaben sie sich eilig unter Deck, um alles Nötige für ihr Abenteuer einzupacken. Swipe und Rockford begleiteten sie und standen die ganze Zeit über nur eine Entermesserlänge entfernt. Walter packte seine Kartenzeichnerutensilien ein – Schreibfedern, Pergament, den Davis-Quadranten und das Messseil – während sich Hugo nach Proviant umsah. Am Morgen hatte die Mannschaft alle frischen Eier zum Frühstück verspeist, aber ganz hinten im Hühnerkäfig entdeckte Hugo noch ein paar unterm Stroh. Er schlug sie in ein Tuch ein und steckte sie, zusammen mit etwas Schiffszwieback und zwei Decken, in seinen Tornister.
    Ehe sie sichs versahen, saßen Hugo und Walter in einem kleinen Ruderboot und wurden an der Längsseite des Schiffes heruntergelassen. Das Boot schlug klatschend auf dem Wasser auf, die Matrosen holten die Taue wieder ein und Walter legte sich in die Riemen.
    »Beeilt euch mit meinen Kokosnüssen!«, rief ihnen Rupert noch nach. »Wir können nicht ewig hier herumdümpeln!«
    »Und wenn ihr draufgeht, beschwert euch gefälligst nicht!«, krakeelte