Perdido - Im Bann des Vampirjägers
gibt’s noch mehr Knoblauch«, sagte sie beiläufig.
Hugo und Herkules wechselten einen kurzen Blick, dann rannten sie ins Haus. Als sie wieder ins Freie traten, hatte sich Hugo einen ganzen Knoblauchzopf wie einen Kranz um den Hals gewunden, auf Herkules’ Brust tanzte eine geschälte Knoblauchzehe. Hugo schloss die Haustür, und Kristall schlug vor, dass er für alle Fälle auch noch das große Silberkreuz mitnehmen solle. Hugo nahm den Rat dankbar an, steckte das Kreuz in seinen prallen Tornister und setzte sich an die Spitze der kleinen Schar.
Schon vor ihrem Aufbruch hatte Hugo sein achtzehn Meter langes Messseil auf die Erde gelegt und war es abgeschritten. Dreißig Schritte hatte er gebraucht. Von seinem Selbststudium in Onkel Walters Arbeitszimmer wusste er, dass eine Meile ungefähr tausendsechshundert Meter lang war, was ziemlich genau zweitausendsiebenhundert Schritten entsprach.
»Wartet mal«, sagte Kristall, »bevor wir losgehen, müssen wir noch etwas erledigen.« In ihrer Pfote erschien der Seidenschal, den sie sich am Vorabend um den Kopf geschlungen hatte.
»Bloß nicht!«, rief Herkules. »Bitte kein Hokuspokus mehr!«
»Reg dich ab, Kleiner«, erwiderte Kristall gelassen, riss mit den Zähnen ein Stück Stoff ab und gab es Hugo. »Bind dir das um den rechten Arm.«
»Wozu?«
»Das ist dein Erkennungszeichen. Wenn ein Vampir deine Gestalt annimmt, dann immer nur spiegelverkehrt. Und wenn der echte Hugo ein rotes Seidenband um den rechten Arm trägt …«
»… trägt der Vampirhugo das Band um den linken Arm.«
»Du hast’s erfasst.«
Kristall riss auch für Herkules einen Stoffstreifen ab, einen dritten Streifen band sie sich um die rechte Pfote.
»Dann kann’s ja jetzt losgehen«, verkündete Hugo. »Laut meinen Berechnungen haben wir nur noch bis morgen Nacht Zeit, um Marcello zu erlösen. Sonst wird er …« Er stockte. Wie konnte er das Schicksal, das Onkel Walters Freund bevorstand, möglichst taktvoll in Wort fassen?
»… sonst kriegt er womöglich lange Zähne«, half ihm Herkules weiter.
»Genau das wollte ich sagen.«
Hugo ging in Richtung Süden und zählte seine Schritte. Am Flussufer blieb er stehen, hob eine Handvoll Kiesel auf und steckte sie in die rechte Manteltasche. Er setzte sich Herkules auf dieSchulter, klemmte Kristall unter den Arm und watete ins Wasser. Der Fluss war breit, aber zum Glück nicht tief.
»Achtundneunzig, neunundneunzig …«
Immer weiter zählend stapfte er den Hang der Hügelkette hoch. Der Tornister schlug ihm gegen einen Oberschenkel, der lederne Wasserbeutel gegen den anderen.
Bei jedem hundertsten Schritt holte er einen Kieselstein aus der Tasche. Wenn er zehn Steine zusammenhatte, ließ er einen in die linke Manteltasche fallen und steckte die übrigen neun wieder in die rechte Manteltasche.
Als er schon fast oben war, schlug sein Herz immer schneller, aber nicht, weil ihn das Klettern anstrengte.
Anfangs sah er nur kantige weiße Umrisse verstohlen über die Anhöhe lugen wie schüchterne Eisberge. Doch mit jedem Schritt gaben die Berge mehr von sich preis, offenbarten ihre steilen Gipfel und schroffen Hänge und lagen schließlich in ihrer ganzen atemberaubenden Größe vor ihm. Sie schienen sogar den Himmel zu erdrücken.
»Hundert!« Hugo hockte sich auf den Felsvorsprung, der sein Ziel gewesen war, und bewunderte die Aussicht.
»Wie weit sind wir schon gegangen?«, wollte Kristall wissen.
Hugo zählte seine Kieselsteine: Neun hatte er in der Hand, einen in der linken Manteltasche.
»Treten Sie näher, meine Damen und Herren!«, witzelte Herkules. »Sehen Sie das erste menschliche Rechenbrett der Welt! Sie werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen – darauf können Sie zählen !«
»Tausendneunhundert Schritte«, verkündete Hugo.
»Über eine halbe Meile – nicht schlecht!«, sagte Kristall. »Ich bin noch nie aus dem Dorf herausgekommen, aber mir macht diese Kletterpartie richtig Spaß, muss ich schon sagen.«
»Ich fürchte, es wird noch ganz schön anstrengend.« Hugo blickte von seinem Kompass auf und musterte die schroffen Gipfel.»Dann wollen wir mal. Unser nächstes Ziel sind die Bäume da drüben.«
Es ging jetzt steil bergauf und sie kamen nur langsam voran. Über Nacht hatte es geschneit und Hugo versank bis über die Knie im Pulverschnee. Kristall hatte es nicht so schwer, sie trippelte leichtfüßig hinter ihm her und sank nicht so tief ein.
Nach ein paar Stunden machten sie eine kurze Pause. Hugo
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