Perdido - Im Bann des Vampirjägers
zwischen verschneiten Felsbrocken hindurch, über Eisflächen und durch enge Schluchten suchte. Herkules balancierte auf seiner Schulter, Kristall sprang leichtfüßig von Fels zu Fels. Lupus waren seine langen Arme von Nutzen. Er konnte sich an Vorsprüngen festhalten und hochziehen, an die Hugo nicht heranreichte. Zwischendurch hob er immer wieder eine Handvoll Schnee auf und kühlte damit seine Zunge, die sich nach und nach von der lähmenden Wirkung des Gifts erholte.
Es dämmerte bereits, als Hugo unvermittelt stehen blieb, weil er glaubte, etwas gehört zu haben. Etwa zwanzig Meter bergauf lief ein prächtiger Hirsch ein vereistes Felssims entlang.
Hugo fasste Lupus am Arm und deutete mit dem Kinn auf das Tier. »Sieh dir den an! Hat er nicht ein wunderschönes Geweih?«
Lupus nickte stumm.
»Womöglich ist es ein Vampirhirsch«, gab Herkules im Flüsterton zu bedenken.
Kristall schüttelte den Kopf. »Er spiegelt sich im Eis, demnach ist er harmlos.«
Einen Augenblick lang bewunderten die vier Gefährten noch, wie anmutig und trittsicher sich das Tier über den schmalen Vorsprung bewegte, da blieb der Hirsch mit einem Mal stehen, machte ein paar Schritte rückwärts und rutschte dabei beinahe ab.
»Etwas hat ihn erschreckt«, raunte Hugo und ließ den Blick über den Hang wandern.
»Da oben!«, zischelte Herkules. »Über dem Hirsch!«
Jetzt sah Hugo es auch. Der lang gestreckte schlanke Leib war vom Kopf bis zu den gewaltigen Tatzen mit einem glatten schwarzen Fellkleid überzogen. Unter dem dichten Pelz sah Hugo die Muskeln und Schulterblätter spielen, als sich das Raubtier jetzt an den Hirsch anschlich.
»Tolle Ohren!«, entfuhr es Herkules.
»Stimmt«, erwiderte Lupus. »Fast wie Fledermausflügel.«
Hugo schluckte und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ist er das?«
Kristall nickte feierlich. »Muss wohl. Seht nur, wie geschmeidig er sich bewegt. Ich glaube, wir sind soeben dem Vampanter begegnet.«
Die kleine Schar schnappte einhellig nach Luft, als der Vampanter jetzt mit ausgestreckten Tatzen einen eleganten Satz machte. Der Hirsch war überrumpelt. Der Vampanter landete auf seinem Rücken und schlang ihm die kräftigen Pfoten um den Leib. Der Hirsch brach sofort unter dem gewaltigen Gewicht zusammen. Zähne blitzten auf, eine lange Zunge hechelte gierig – dann grub der Vampanter seinem Opfer die samtige schwarze Schnauze in den Nacken. Der Leib des Untiers bebte vor Wonne, als es sich satt trank.
Als der Räuber sein Mahl beendet hatte, stellte er sich breitbeinig über den reglosen Kadaver, der vor den Augen der Zuschauer zu schrumpfen und sich aufzulösen schien. Der Vampanter legteeine Pfote auf das krumme Schwert an seiner Hüfte und wischte sich mit der anderen Pfote die dichten Schnurrhaare. Er wandte den Kopf und sah sich prüfend um, wobei er die kräftigen Kiefer zu einem überheblichen Grinsen verzog, dann sprang er mit großen Sätzen das Felssims entlang und verschwand mit wehendem Umhang im Dämmerlicht.
Eine ganze Weile sprach keiner der vier ein Wort.
»Donnerlittchen«, sagte Lupus schließlich. »Sagen wir mal so: Dem würde ich nicht gern bei Mondschein begegnen.«
»Nicht mal in der frühen Abenddämmerung«, setzte Hugo hinzu.
»Sag mal, Kristall …«, Herkules’ Ton war vorwurfsvoll, »hast du uns nicht erzählt, dass Vampire nur nachts unterwegs sind?«
»Ich habe hinzugefügt, dass für Mephisto eigene Gesetze gelten. Wie es aussieht, scheut er sich nicht, auch tagsüber sein Unwesen zu treiben.«
»Und wenn er nun da oben auf uns lauert?«, wandte Lupus ein.
»Umso besser.« Hugo rang sich ein tapferes Lachen ab. »Dann sparen wir uns den Weg zu seinem Schloss und können ihm das Juwelenschwert gleich abnehmen und ihn töten.«
In beklommenem Schweigen setzten die vier Gefährten den Aufstieg fort. Immer wieder sah Hugo den brutalen Überfall vor sich. Den anderen ging es bestimmt nicht besser. Hugo hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie einen derart mächtigen Gegner außer Gefecht setzen sollten … falls sie das geheime Schloss überhaupt fanden. Seine Zuversicht schwand dahin. Aber dann rief er sich ins Gedächtnis zurück, dass er Onkel Walter befreien musste, und stapfte weiter.
»Ach übrigens«, kam es von Herkules, »… ist euch auch aufgefallen, dass der Vampanter einem von uns ähnlich sieht? Vielleicht aufgrund gemeinsamer Vorfahren?«
»Jetzt, wo du’s sagst …«, erwiderte Hugo. »Aber obwohl ihr alle beide
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