Perdido - Im Bann des Vampirjägers
Speiserest. Lupus pflückte das Bröckchen ab und hielt es den anderen auf der flachen Hand hin. Am einen Rand war es abgerundet, die andere Kante wies Bissspuren auf, und das Ganze schimmerte senffarben mit roten Tupfen.
»Der Pilz?«, fragte Hugo verständnislos.
»Das ist kein gewöhnlicher Pilz, sondern ein Großer Giftschirmling. Schon dieser kleine Bissen hätte ausgereicht, dich binnen kürzester Zeit umzubringen. Nach fünf Minuten wärst du an allen Gliedern gelähmt gewesen, nach zehn Minuten tot. Du hattest das Stück schon runtergeschluckt, darum habe ich dir in den Magen geboxt, damit du es wieder ausspuckst. Anschließend musste ich dir den Pilz und das mörderische Gift aus dem Mund saugen.«
»Danke schön«, erwiderte der verdatterte Hugo.
»Ich schließe mich an«, sagte Herkules und versteckte verlegen den Kaktusstachel hinter dem Rücken.
»Eine Frage noch«, sagte Kristall. »Wenn der Pilz so giftig ist, wie kommt es dann, dass du nicht selber tot umgefallen bist, Lupus?«
»Erstens bin ich viel größer als Hugo und das Gift haut mich nicht gleich um. Trotzdem wird meine Zunge wahrscheinlich gleich anschwellen und dann kann ich nur noch stot-tot-tot…« Noch während er sprach, schwoll seine Zunge auf ein Vielfaches ihrer eigentlichen Größe an und drückte ihm den Mund auf wie ein großer rosa Schwamm.
»Auweia.« Hugo erschauerte nachträglich. »Der Pilz muss wirklich ganz schön giftig sein.« Er stand auf und legte Lupus mitfühlend die Hand auf die Schulter. »Geht’s?«
Lupus nickte. Ein langer Sabberfaden tropfte ihm aus dem Mundwinkel.
»Kann ich etwas für dich tun?«
Lupus schüttelte den Kopf. Der Sabberfaden verhedderte sich in seinem struppigen Bart.
»Lässt die Wirkung des Gifts irgendwann nach?«
Lupus nickte nachdrücklich und reckte die behaarten Daumen.
»Na, dann kommt, Leute.« Hugo riss noch einen Streifen von Kristalls Seidenschal ab und band ihn Lupus um den rechten Arm. »Gleich wird es richtig hell. Lasst uns aufbrechen.«
Die kleine Schar verließ den Wald und marschierte auf den Felshang zu. Hugo ging voraus, Kristall und Lupus hinterher.
»HA!«
Als sie sich umdrehten, grinste Herkules sie triumphierend an. Vor Aufregung wedelte er mit den großen Ohren.
»Was, ›ha‹?«, fragte Kristall gereizt.
»Mir ist gerade etwas eingefallen. Du hast doch vorhergesagt, dass Hugo vergiftet würde beziehungsweise dass er einen Freund vergiften würde.«
»Ja und?«
»Du hast danebengelegen. Hugo wurde überhaupt nicht vergiftet und man kann ja wohl nicht behaupten, dass er Lupus vergiftet hätte. Wenn überhaupt, hat sich Lupus beherzt selbst vergiftet, um Hugo zu retten.«
»Ich pflege meine Vorhersagen nicht zu deuten«, entgegnete Kristall kühl. »Aber ich hatte ja wohl recht, dass Hugo irgendwie mit Gift in Berührung bekommt.«
»In Berührung meinetwegen, aber er hat keine tödliche Dosis geschluckt. Das ist ja wohl ein entscheidender Unterschied, wenn du mich fragst.«
»Ich habe dich aber nicht gefragt.«
»Vielleicht solltest du dir das in Zukunft angewöhnen.«
»Schluss jetzt!«, rief Hugo. »Onkel Walter schwebt in Lebensgefahr und ich gehe jetzt weiter. Wenn die Banditen das Juwelenschwert in die Finger bekommen, brauchen sie Onkel Walter nicht mehr und werden ihn wahrscheinlich umbringen. Außerdem sind dann sämtliche Mezzaghule zu einem ewigen Dasein als blutgierige Vampire verdammt. Aber wenn euch euer albernes Gekabbel wichtiger ist, könnt ihr gern hierbleiben und euch weiterzanken.« Er wandte sich ab und stapfte, gefolgt von Lupus, weiter.
Herkules und Kristall wechselten einen schuldbewussten Blick.
»Wie wär’s mit einem Waffenstillstand?«, schlug die Katze vor.
»Meinetwegen«, nahm der Mäuserich den Vorschlag an. »Ich will mir Mühe geben, deine lachhaften Vorhersagen nicht mehr zur Sprache zu bringen.«
»Und ich will mein Möglichstes tun, mich nicht mehr darüber lustig zu machen, dass du ein Winzling mit lachhaft riesigen Schlappohren bist.«
Einen Augenblick lang maßen sie einander mit argwöhnischen Blicken.
31. Kapitel
D
er Felshang war zu steil und zerklüftet, um ihn auf dem kürzesten Weg zu erklimmen, deshalb führte Hugo seine Truppe im Zickzack dem Bergkamm entgegen, auf dem er in der vergangenen Nacht den flackernden Lichtschein gesehen hatte. Die Sonne stieg am Himmel empor und ließ den Schnee glitzern, wärmte aber kaum. Die bitterkalte Luft brannte Hugo in der Kehle, als er sich seinen Weg
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