Perdido - Im Bann des Vampirjägers
einzigen gezielten Hieb zum Höhleneingang hinaus. Lupus konnte sich gerade noch ducken. Das Miniungeheuer flog mit einem schrillen Schrei in die Nacht hinaus.
Alle rannten zum Rand des Simses. Sie sahen die kleine Gestalt in dem dunklen Abgrund verschwinden. Dann wurde es still.
Nach ein paar Sekunden hörte man einen Aufprall, begleitet von einem grässlichen Geheul, das durch das ganze Tal hallte.
»Tut mir echt leid, dass ich den Vampir überhaupt reingelassen habe«, sagte Lupus zerknirscht. »Aber er sah Herkules wirklich zum Verwechseln ähnlich. Er trug sogar eine Knoblauchkette um den Hals.«
»Ach!« Hugo machte große Augen.
»Das kapier ich nicht«, sagte Herkules. »Der Knoblauch schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Dabei dachte ich, dass Knoblauch alle Vampire abschreckt … alle außer …«
»… den Vampanter.« Kristall schien beunruhigt. »Habe ich etwa gerade den Vampanter in den Abgrund geworfen?«
»Tja, jetzt weiß der Bursche wenigstens, dass wir es ernst meinen«, erwiderte Herkules.
»Wir müssen weiter«, mischte sich Hugo ein. »Wenn das eben tatsächlich der Vampanter war, leckt er vielleicht erst mal ein Weilchen seine Wunden, aber anschließend wird er vor nichts mehr zurückschrecken, um sein Juwelenschwert vor uns zu beschützen.«
Sie balancierten auf dem Felssims entlang. Lupus ging voran, dann kam Hugo, dann Kristall, und als Nachhut hüpfte Herkules über das vereiste Gestein.
»Danke, dass du uns den falschen Herkules vom Hals geschafft hast, Kristall.«
» Ein Herkules ist schlimm genug«, entgegnete die Katze abweisend. »Zwei von der Sorte hält man ja nicht aus.«
»So spricht man aber nicht mit seinem Freund.« Herkules tat gekränkt.
»Welchem Freund?« Die Katze lachte höhnisch.
Herkules lächelte verschämt. »Na ja, du hast dir doch den Vampir geschnappt, weil er deinen Freund umbringen wollte.«
»Also, ›Freund‹ habe ich bestimmt nicht gesagt.«
»Doch.«
»Quatsch.«
»Kein Quatsch.«
»Du hast eine Gehirnerschütterung.«
»Ich weiß trotzdem noch, was du gesagt hast. Also einverstanden: wenn du es so gern möchtest, können wir Freunde sein.«
»Sei nicht albern. Du bist offenbarrr immer noch nicht rrrichtig bei dirrr.« Nur mit Mühe konnte sich Kristall das Schnurren verbeißen.
34. Kapitel
D
ie Freunde gingen geduckt, denn der Südwind trieb den Pulverschnee wie Rauch über das ungeschützte Felssims. Als sie eine kurze Verschnaufpause einlegten und sich frierend aneinanderdrängten, nutzte Hugo die Gelegenheit, seine Karte von Dämonien zu ergänzen. Er trug den zerklüfteten Felshang mit der Höhle ein (neben die Höhle malte er zwei kämpfende Mäuseriche). Von hier oben konnte man fast das ganze Land überblicken. Mit seinen schroffen Gipfeln glich es einem zu Eis erstarrten, aufgepeitschten Meer. Hugo fertigte eine Skizze des Ausblicks in seinem Notizbuch an.
In dieser Nacht hatten sie schon fünf Meilen zurückgelegt, und Hugo schätzte, dass sie vor Sonnenaufgang noch weitere zwei schaffen konnten. Blieben noch sieben Meilen bis zu Marcellos rätselhaften »Zähnen von Kristall« … und mehr Zeit hatten sie auch nicht mehr. Hugo verscheuchte den Gedanken an Kristalls Prophezeiung, dass Onkel Walter sterben müsse … und er selbst, Hugo, auch.
Sie wanderten weiter, aber bald versperrte ihnen ein gewaltiger, kahler Granitvorsprung den Weg. Der Felsblock war oben eiförmig abgerundet, an die zweihundert Meter hoch und mit Eis überzogen. Alter und die Witterung hatten ihn bersten lassen, sodass nun in der Mitte wie bei einer offenen Muschel ein breiter Spalt klaffte.
»Und jetzt?«, fragte Hugo ratlos.
»Drumherum laufen kommt nicht infrage«, stellte Kristall sachlich fest. »Es geht hier praktisch senkrecht in die Tiefe.«
»Dann eben ab durch die Mitte«, meinte Herkules.
»Ursas Maul«, sagte Lupus leise und spähte an dem Riesenfelsen empor. »Mein Vater hat mir davon erzählt.«
»Wo sind deine Eltern eigentlich jetzt, Lupus?«
Lupus drehte sich mit wehmütigem Blick zu der Gebirgslandschaft um. »Irgendwo … ich weiß es nicht.«
»Hast du mal versucht, sie wiederzufinden?«
Lupus schüttelte den struppigen Kopf. »Seht mich doch an. So kann ich doch nicht zu Hause aufkreuzen.« Es klang todtraurig.
Hugo sah, dass sein Freund feuchte Augen hatte. Er nahm Lupus’ Hand und drückte sie sanft.
»Mir fehlen meine Eltern auch«, sage er leise. »Wenn ich mich ganz einsam und verlassen fühle, erinnere ich
Weitere Kostenlose Bücher