Perdido Street Station 01 - Die Falter
vernünftig, in meinen Augen. Damals entstanden auch die Pläne für den Wolkenturm; man wollte das Wetter nicht länger dem Zufall überlassen. Heute ist er leider seit langem außer Betrieb und wir sind im Arsch, falls noch ein paar Torques-Strömungen des Wegs kommen. Glücklicherweise scheinen sie im Lauf der Jahrhunderte immer seltener zu werden. Der Höhepunkt ihres Vorkommens lag zwischen dem 11. und 12. Jahrhundert.«
Isaac erwärmte sich für seine Rolle als Lehrer und Warner.
»Weißt du, Yag, als man merkte, im Süden, im Buschland, war etwas im Gange – und man kapierte ziemlich schnell, dass man es mit einer kolossalen Torques-Spalte zu tun hatte – wurde viel hin und her geredet, wie man die Stelle nennen sollte, und man diskutiert immer noch darüber, nach einem halben verdammten Jahrtausend. Irgendjemand kam auf Malakornukopischer Fleck, und das Etikett blieb haften. Ich erinnere mich, dass im College gewettert wurde, es wäre eine gräulich populistische Bezeichnung. Malakornukopisch wäre mit ›Füllhorn des Übels‹ zu übersetzen, und damit unsachlich und moralisierend. Der Torques wäre weder gut noch schlecht, und so weiter. Und die Professoren hatten nicht einmal ganz Unrecht. Der Torques ist nicht böse – er hat kein Bewusstsein, keinen Willen. Das ist jedenfalls meine Meinung – andere denken anders.
Doch selbst wenn ich Recht haben sollte, finde ich, Westragamoll ist genau das, was man sich unter einem Malacornucopia vorstellt, ein Gebiet, in dem Kräfte wirken, über die wir nicht die geringste Kontrolle haben. Keine Thaumaturgie, keine Errungenschaft unserer Technik kann uns helfen, dort etwas zu verändern. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Gegend sich selbst zu überlassen und zu hoffen, dass die Dinge wieder ins Lot kommen. Es ist eine verdammte Vastation und wimmelt von Inchmen – die zugegeben auch außerhalb von Torques-Zonen leben, sich aber dort besonders wohl zu fühlen scheinen – und anderen Kreaturen, die zu beschreiben ich uns beiden ersparen möchte. Man hat also eine Macht, die unserer Wissenschaft Hohn spricht. Das ist ›schlecht‹, nach meinen Begriffen. Vielleicht sogar die perfekte Definition des Wortes. Kurz und gut, Yag – tut mir weh, das zu sagen, wirklich, immerhin bin ich überzeugter Rationalist –, aber der Torques ist ein Änigma, welches sich unserer Erkenntnis entzieht.«
Isaac fiel ein Stein vom Herzen, als er sah, dass Yagharek nickte. Er nickte mit, nachdrücklich.
»Teilweise natürlich rein egoistisch, mein Vortrag«, sagte er mit grimmiger Belustigung. »Ich meine, ich habe keine Lust, wild herumzuexperimentieren und mich – Hoppla! – in irgendetwas ästhetisch Unbefriedigendes zu verwandeln. Zu riskant. Wir halten uns an die gute alte Krisistheorie, in Ordnung? In dem Zusammenhang möchte ich dir übrigens etwas zeigen.«
Behutsam nahm er Yagharek Sacramundis Buch aus den Händen und stellte es zurück ins Regal. Er holte seinen Entwurf aus einer Schublade und breitete ihn vor Yagharek aus. Dann zögerte er und schaute ihm forschend ins Gesicht.
»Yag«, sagte er, »ich muss es genau wissen – können wir das Thema abhaken? Bist du überzeugt? Wenn du nach wie vor entschlossen bist, dein Glück mit dem Torques zu versuchen, dann sag’s mir um Jabbers willen jetzt gleich, damit ich dir Lebewohl wünschen kann und mein herzliches Beileid aussprechen.«
Er versuchte in Yaghareks unbewegter Miene zu lesen.
»Ich habe dir zugehört, Grimnebulin«, sagte der Garuda nach einer Weile. »Ich – respektiere dich.« Isaac lächelte schief. »Ich akzeptiere deine Argumente.«
Isaac begann zu grinsen, und er hätte einen Kommentar abgegeben, nur dass Yagharek in melancholischem Schweigen aus dem Fenster sah und launige Bemerkungen nicht angebracht schienen. Es dauerte lange, bis er weitersprach.
»Wir Garuda kennen den Torques.« Er machte große Pausen zwischen den Sätzen. »Er hat auch den Cymek heimgesucht. Wir nennen ihn rebekh-lajhnar-h’k.« Hervorgestoßen wie ein zorniger Vogelschrei. »Rebekh-sackmai ist Tod: ›Die Macht, die endet.‹ Rebekh-kavt ist Geburt: ›Die Macht, die beginnt‹. Sie waren die ersten Zwillinge, aus dem Weltenschoß geboren nach dessen Vereinigung mit dem eigenen Traum. Doch eine – eine Krankheit – ein Tumor …«, er hielt inne, um das Wort, das richtige Wort, auf der Zunge zergehen zu lassen, »war mit ihnen im Erdenbauch. Rebekh-lajhnar-h’k entsprang unmittelbar nach ihnen dem
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