Perdido Street Station 01 - Die Falter
Vodyanoi hinüber, schimpften sie Frösche und Kröten. Ihre Kameraden, die sich den Streikenden angeschlossen hatten, nannten sie Abtrünnige und Verräter an der eigenen Rasse. Sie behaupteten, die Vodyanoi würden Entlassungen heraufbeschwören und Lohnkürzungen. Der ein oder andere hatte Pamphlete der Drei-Federn -Partei bei sich.
Zwischen ihnen und ihren ebenso stimmgewaltigen streikenden Kollegen wogte die breite Masse der Zauderer einmal hierhin, einmal dorthin, fluchend und ratlos.
An beiden Ufern des Flusses, in Kelltree selbst und in Syriac Wells, sammelten sich Zuschauer, um die Konfrontation zu verfolgen. Ein paar Männer und Frauen liefen herum, zu flink, als dass man sie identifizieren konnte, und verteilten Flugblätter mit dem Banner des Lauffeuer. Darin wurden die menschlichen Docker dazu aufgerufen, sich mit den Vodyanoi zu solidarisieren, nur auf diese Weise ließen sich Forderungen durchsetzen. Man sah die Blätter auch bei den Schauerleuten kursieren, wie durch Zauberei dorthin gelangt.
Während die Sonne höher stieg und mit ihr die Temperaturen, kletterten immer mehr Dockarbeiter über die Mauern, um sich den demonstrierenden Vodyanoi anzuschließen. Auch die Zahl der Gegendemonstranten wuchs, doch es waren die Streikenden, die den stärksten Zuwachs verzeichneten.
Eine angespannte Ungewissheit hing in der Luft. Die Menge der Unentschlossenen wurde lebhafter, verlangte von beiden Seiten, etwas zu unternehmen. Das Gerücht machte die Runde, der Vorsitzende der Hafenarbeitergewerkschaft käme, um eine Rede zu halten; ein anderes besagte, Rudgutter persönlich würde erscheinen.
Die ganze Zeit über waren die Vodyanoi im Fluss damit beschäftigt, die opalisierenden Wasserwände immer wieder nachzuarbeiten. Fische schossen unversehens ins Leere hinaus und fielen zappelnd aus der Luft; halb im Modder versunkenes Treibgut wurde von der Strömung in den Graben geschwemmt. Die Vodyanoi warfen alles zurück. Sie arbeiteten in Schichten, tauchten durch das Wasser, um die oberen Bereiche der Schanze zu kræften. Aus der Tiefe des Flussbetts, zwischen Metallschrott und Morast, riefen sie den streikenden Menschen Ermutigungen zu.
Um halb vier Uhr – die Sonne brannte heiß durch transparente Wolkenschleier – sah man aus Norden und Süden zwei Luftschiffe herankommen.
Allgemeine Erregung breitete sich aus, es hieß, der Bürgermeister käme. Dann wurden ein drittes und viertes Luftschiff gesichtet, die unaufhaltsam über das Stadtgebiet hinweg in Richtung Kelltree schwebten.
Eine böse Vorahnung wehte kalt über den Fluss. Ein Teil der Menge verlief sich in aller Stille. Die Streikenden verstärkten trotzig ihre Sprechchöre.
Um fünf Minuten vor vier Uhr hingen die Luftschiffe als schwebendes X über dem Hafen, ein massives, bedrohliches Symbol der Zensur. Schätzungsweise eine Meile östlich warf ein weiteres, einzelnes Luftschiff seinen Schatten über Dog Fenn auf der anderen Seite der Flussbiegung. Vodyanoi und Menschen beschatteten die Augen mit den Händen und starrten hinauf zu den reglosen Silhouetten, geschossförmig wie jagende Kraken.
Die Luftschiffe sanken erdwärts, lautlos, ohne sichtbare Manöver; plötzlich waren Einzelheiten erkennbar, und man empfand bedrückend die Masse der aufgeblähten Rümpfe.
Kurz bevor es vier Uhr schlug, tauchten hinter den umliegenden Dächern eigenartige organische Gebilde in die Höhe; sie stiegen aus Luken an der Spitze der Zeugtürme von Kelltree und Syriac auf, untergeordnete Stützpunkte der Miliz und nicht an das Drahtseilbahnnetz angeschlossen.
Die schwerelos scheinenden Objekte gaukelten und dippten sacht im Wind und drifteten fast wie zufällig in Richtung der Docks. Der Himmel war plötzlich voll davon. Sie waren rund und dick – ungefähr dreieinhalb Meter im Durchmesser – und gallertig, der Körper eine Masse aus knotigem, aufgedunsenem Gewebe, übersät mit Zotten und Hautlappen, Kratern und rätselhaften, tropfenden Öffnungen. Von der Unterseite hing ein Gewirr von Tentakeln, Stränge aus blasigem Fleisch, mehr als zehn Meter lang bis zum Boden. Jeder dieser lebenden Ballons hatte einen menschlichen Reiter, der in einem an den voluminösen Leib genähten Geschirr steckte.
Die rosarote Masse der bizarren Kreaturen pulsierte wie ein schlagendes Herz.
Die luftige Armada näherte sich der Menge, die ihr stumm vor Schreck und wie gelähmt entgegensah. Dann stieg der Ruf aus tausend Kehlen: »Medusenreiter!«
Pünktlich zum
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