Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
Glockenschlag der vollen Stunde brach die Panik aus, und mehrere Dinge passierten gleichzeitig.
    Überall im Gedränge, unter den Menschen der Gegendemonstration und sogar hier und da unter den streikenden Dockern, hoben Gruppen von Männern – und einige Frauen – die Hände und zogen mit geübten, raschen Bewegungen eine Art Kapuze über den Kopf: Hauben ohne erkennbare Augen- oder Mundöffnungen, schwarze, gesichtslose Masken.
    Aus dem Unterbauch der Luftschiffe, die inzwischen schwer und bedrückend dicht über der Menge hingen, flogen bündelweise Seile schlenkernd und schnalzend durch die Luft und prasselten auf das Pflaster. Sie bildeten die vier Eckpunkte einer gedachten Absperrung, die den gesamten Aufmarsch von Zuschauern, Streikenden und Streikgegnern umschloss, zwei auf jeder Seite des Flusses. Schwarze Gestalten glitten geschickt, in unaufhörlicher, rascher Folge daran zu Boden. Sie sahen aus wie Gallertklumpen, die an den herunterhängenden Gedärmen der ausgeweideten Luftschiffe herabtropften.
    Die Menge stob schreiend auseinander, ihr organischer Zusammenhalt zerbrach. Die Leute flohen kopflos in alle Richtungen, trampelten über andere hinweg, die gestürzt waren, rissen Kinder und Geliebte an sich und stolperten über Kopfsteinpflaster und zerbrochene Gehwegplatten. Sie suchten Zuflucht in den Gassen und Gässchen, die sich wie ein Netzwerk von Rissen von den Ufern her ausbreiteten. Dabei liefen sie den Medusen in den Weg, die gravitätisch wippend den Einkerbungen im Dächergewirr folgten.
    Miliz im Kampfanzug stürzte sich auf die Streikpostenketten. Schreckensschreie ertönten, als Soldaten auf dem Rücken von monströsen, zweibeinigen Schunn auftauchten, die ihre Greifhaken ausstreckten und die stumpfen, augenlosen Köpfe von einer Seite zur anderen bewegten, um sich an den Echos der von ihnen ausgesandten Schallwellen zu orientieren.
    Plötzliche abgehackte Schmerzensschreie schwirrten durch die Luft. Flüchtende verfingen sich in ihrer blinden Panik unversehens in den herabhängenden Medusententakeln und brüllten, wenn das Nesselgift durch die Kleidung auf ihre Haut drang. Die Opfer wurden von brennenden Schmerzen geschüttelt, dann folgten kalte Taubheit und Lähmung.
    Die Medusenreiter manipulierten die Nodule und subkutanen Synapsen, die die Bewegungen der Geschöpfe steuerten, schwebten mit ihnen erstaunlich schnell über die Dächer der Baracken und Lagerschuppen und ließen die Tentakel ihrer Reittiere durch die Schluchten zwischen den Gebäuden schleppen. Sie hinterließen eine Strecke sich windender Leiber mit glasigen Augen und Schaum vor dem in stummer Qual aufgerissenen Mund. Bei einigen wenigen – den Alten, den Kränklichen, den Allergischen und den Pechvögeln – führte das Gift zu einer extrem heftigen Reaktion. Ihr Herz blieb stehen.
    Die schwarzen Kampfanzüge der Soldaten waren mit Fasern aus der Medusenhaut durchwirkt. Die Nesselpfeile konnten den Stoff nicht durchdringen.
    Milizeinheiten stürmten die Uferebene, wo die Streikenden zusammengeströmt waren. Menschen und Vodyanoi schwangen ihre Plakate wie schlecht gearbeitete Keulen. Es gab brutale Handgemenge, wenn Milizzer im Getümmel von ihren Stachelknüppeln und Peitschen Gebrauch machten. Etwa zehn Meter vor der Front der überrumpelten, wütenden Demonstranten ging die erste Welle Soldaten in die Knie und hob die verspiegelten Schilde. Hinter ihnen hörte man das Geschnatter eines Shunn, dann flogen in hohem Bogen, Rauchschweife hinter sich herziehend, Gasgranaten in die Menge. Die Miliz, mit Filtermasken ausgerüstet, rückte unerbittlich durch die wallenden Schwaden vor.
    Ein Trupp Soldaten löste sich von der Phalanx und bewegte sich im Laufschritt zum Fluss hinunter. Sie warfen eine qualmende Granate nach der anderen in den Wasserkræftgraben der Vodyanoi. Husten und krächzendes Geschrei aus verätzten Lungen tönte herauf. Die sorgsam geglätteten Wälle begannen zu reißen und zu tröpfeln, als mehr und mehr der Wasserkræfter sich hineinstürzten, um den giftigen Dämpfen zu entrinnen.
    Drei Milizionäre knieten dicht am Uferrand nieder, umgeben von einer Doppelreihe ihrer Kameraden, einer schützenden Haut. Mit flinken, abgezirkelten Bewegungen nahmen sie die Gewehre vom Rücken. Jeder Mann hatte zwei, geladen und schussbereit, eins legten sie neben sich. Sie spähten über Kimme und Korn in das Gewoge aus grauem Qualm. Ein Offizier mit den silbernen Epauletten eines Thaumaturgen im Hauptmannsrang

Weitere Kostenlose Bücher