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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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    Dringende Geschäfte bedingen ein Aussetzen der Termine bis auf weiteres.
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    Lin hatte die knappe Notiz eingesteckt und war nach Kinken spaziert, wo sie ihre kontemplative Vergangenheitsbewältigung fortsetzte. Und dann, mit einem kuriosen Gefühl der Verwunderung, als stünde sie neben sich und staunte über ihr eigenes, unbegreifliches Tun, war sie weitergegangen nach Skulkford und dort in den Zug gestiegen. Sie fuhr auf der Sink Line zwei Stationen nach Norden, hinein in den schwarzen Schlund der Perdido Street Station. Dort, in dem Geschiebe und Gedränge und den zischenden Dampfwolken des riesigen Zentralbahnhofs, in dem die Linien sich trafen wie ein fünfstrahliger Stern aus Holz und Stahl, war sie auf die Verso Line umgestiegen.
    Es gab einen Aufenthalt von fünf Minuten, während der Kessel geschürt wurde, Zeit genug für Lin, sich im Namen der Ehrwürdigen Brutmutter zu fragen, auf was für ein unsinniges Unterfangen sie sich eingelassen hatte. Und vielleicht auch im Namen anderer Götter.
    Doch sie bekam keine Antwort und saß still im Abteil, während der Zug dampfte, langsam anfuhr, Tempo aufnahm und sich ratternd durch eine der Poren des Bahnhofs ins Freie quetschte. Er fuhr im Norden des Spikes unter zwei Trossen hindurch, vorbei an Cadnebar’s barbarischem Zirkus. Die Fassade der Prosperität und Pracht von The Crow – die Senned Galerie, Fuchsia House, Gargoyle Park – besaß eine hässliche Rückansicht. Lin schaute in dampfende Müllgruben an der Grenze zwischen The Crow und Rim, sah die Boulevards und Zuckergussvillen sich etepetete an versteckten, baufälligen Blocks vorbeidrücken, wo es, wie sie wusste, von Ratten wimmelte.
    Der Zug passierte Rim Station, ratterte knapp drei Meter neben der Hadrach Bridge über die ölige, graue Brühe des Tar und rollte auf hohen Stelzen mäklerisch über die verwahrloste Wellblechdachlandschaft von Creekside hinweg.
     
    Sie war bei Low Falling Mud ausgestiegen, am westlichen Rand des Ghettos. Es war nur ein kurzes Stück Wegs durch die verdreckten Straßen, vorbei an grauen Häusern mit schimmelig schwärendem Verputz, vorbei an ihresgleichen, die sie beäugten und ihre Witterung schmeckten und weitergingen, weil ihr Innenstadtgeruch und andere Kleidung sie als eine kenntlich machten, die entkommen war. Sie brauchte nicht lange, um zurückzufinden zum Haus ihrer Brutmutter.
    Sie hielt Abstand, damit ihr Geruch nicht durch die zersprungenen Fenster drang und ihre Anwesenheit verriet. An diesem zum Mittag hin immer wärmer werdenden Tag war ihr Geruch für andere Khepri wie ein Kennzeichen, dessen sie sich nicht entledigen konnte.
    Die Sonne stieg und erwärmte die Luft und die Wolken, und immer noch stand Lin an der Straßenecke, einen Steinwurf entfernt von ihrem ehemaligen Zuhause. Es war unverändert. Durch Risse in den Mauern und der Tür hörte sie das Kratzen und Trippeln, das emsige chitinöse Stakkato männlicher Khepri.
    Sonst rührte sich nichts.
    Passanten sprühten chymischen Abscheu in ihre Richtung, weil sie zurückkam »als etwas Besseres«, um ihren Erfolg spazieren zu tragen, um eine rechtschaffene Familie zu bespitzeln, aber sie ignorierte die Anfeindungen.
    Sie versuchte, sich zu entscheiden, was sie tun sollte. Wenn sie hineinging, und ihre Brutmutter war zu Hause, würden sie beide zornig sein und sich verletzt fühlen und sich streiten, sinnlos, als wären nicht Jahre vergangen.
    Traf sie nur ihre Schwester an und musste erfahren, dass ihre Brutmutter gestorben war, »und du hast sie gehen lassen ohne ein Wort der Versöhnung«, brach ihr vielleicht das Herz. Vor Trauer, Schuldgefühl, dem Wissen, nun ganz und gar verlassen und wurzellos zu sein.
    War überhaupt niemand da – wenn nur Männchen herumkrabbelten, verwahrlost, nicht länger verwöhnte Prinzen, sondern Abfall fressendes Ungeziefer, das stank –, dann stand sie sinnlos in einem leeren Haus, mit dem Gefühl, sich mit ihrem Versuch einer Heimkehr lächerlich gemacht zu haben.
    Eine Stunde oder mehr verging, dann kehrte Lin dem verwahrlosten Gebäude den Rücken. Verwirrt und einsam, mit aufgewühlt rudernden Kopfbeinen und pendelndem Kopfkäfer, ging sie zurück zur Bahnstation.
    Sie hatte entschlossen gegen ihre Niedergeschlagenheit angekämpft, stieg in The Crow aus und gab etwas von Vielgestalts üppigen Honoraren für Bücher und Delikatessen aus. Sie trat in eine exklusive

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